finde-mich-sofort.de (German Edition)
lesen, ließ die Tür aber nicht aus den Augen. Nach vielleicht
fünf Minuten der scheinbar intensiven Lektüre trat ein Mann herein. Das musste er sein! Er ging geradewegs auf mich zu und ich … wollte am liebsten unsichtbar werden.
Bitte nicht!
Mein ungläubiger Blick schien ihn nicht zu irritieren. Er blieb vor dem Tisch stehen, nickte, reichte mir eine schlaffe, feuchte Hand und murmelte: »Tachchen!« Tachchen? Seine schläfrig dreinschauenden Augen wichen meinem Blick aus und verfingen sich irgendwo in einer Schlagzeile meiner aufgeschlagenen Zeitung.
Ich starrte ihn an und war fassungslos. Er war viel kleiner als im Netz angegeben. Wäre ich aufgestanden, hätte ich ihn um mindestens einen Kopf überragt.
Das Foto musste schon etliche Jahre alt gewesen sein und ich bin überzeugt davon, dass hier ein Fotograf – offenbar ein wahrer Meister seines Fachs – durch geschickte Ausleuchtung einen wachen Blick ins trübe Gesicht gezaubert hatte. Oder stammte es gar von einem Bruder, der bei der Verteilung der verwandtschaftlichen Gene eindeutig mehr Glück gehabt hatte? Er nahm mir gegenüber Platz, schaute mich unsicher an und stammelte etwas von: »Tatjana … hahaha … russisch?«
In mir begann es zu brodeln. Ich hasste meine gute Erziehung, die es mir unmöglich machte, ihm jetzt genau das zu sagen, was mir durch den Kopf ging. So klein wie die Menge meines vorausschauend bestellten Espressos war, so lang erschien mir das Gespräch.
Ich zwang mich, dieses kleine Getränk nicht in einem Zug hinunterzustürzen, aber länger als unbedingt nötig wollte ich auf keinen Fall hier ausharren. In meiner Euphorie und Zuversicht hatte ich den erstbesten Typ ausgesucht, dessen Stärke auf keinen Fall die Logik war. Sonst hätte er sich doch niemals unter Vortäuschung falscher Tatsachen, derer man beim ersten Anblick gewahr wurde, ein Date erschlichen?
Unser Gespräch verlief holprig, ganz anders als der nette, ungezwungene Small Talk im Internet. Dabei erfuhr ich auch, dass er nicht studierte, sondern in den Startlöchern zu einer Karriere als Eisverkäufer stand. Ausführlich weihte er mich in die Geheimnisse von Eisproduktion und -verkauf ein. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?
Ich hielt es nicht mehr aus, zog mein Handy aus der Handtasche, schaute aufs leere Display und raunte: »Oh, meine Tochter hat geschrieben …« Ich las die nicht vorhandene Nachricht, machte runde Augen und sprang hektisch auf. »Ich muss ganz schnell zu ihr … ein Notfall … Entschuldigung. Tschüss!«
Schon war ich draußen. Als ich in die Frühsommersonne blinzelte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Anfängerfehler! Beim nächsten Mal würde ich genauer lesen und mir mehr Zeit nehmen, um das unbekannte Gegenüber vor dem ersten Treffen besser einschätzen zu können.
Buchhalter
Abfahrt Funkturm. Wieder klingelt mein Handy. Ich sehe nach, wer es ist, und kann es kaum fassen: Buchhalter . Umständlich stöpsle ich das Kabel der Freisprechanlage ins Telefon. Wer meint, dass das Telefonieren mit Freisprechanlage sicherer ist, hat mich noch nicht damit hantieren sehen.
»Hallo«, rufe ich in den Hörer, »dass du dich mal wieder meldest! Das letzte Mal muss mindestens hundert Jahre her sein … Hm?« Seine Unverbindlichkeit und die seltenen Verabredungen hatten mich schon immer gestört.
»Hast du Zeit?«, fragt er unbeeindruckt, »ich könnte dich gut als Zierde an meiner Seite gebrauchen!«
»Ich bin schon verabredet«, antworte ich ohne das leiseste Bedauern.
»Na, dann bis zum nächsten Mal, und bleib hübsch und verfette nicht!«
Ich muss grinsen. »Verfette nicht …!« Das sagt er bestimmt wegen meiner von ihm bekrittelten »Liebeslenker«. Aber das war ja erst viel später.
Ich mochte seinen Humor von Anfang an. Schon, als ich auf der Single-Seite auf sein lustiges, verkrakeltes Foto stieß, war ich begeistert. Das Bild war acht Jahre alt, wie er daneben geschrieben hatte. Seine frechen blaugrauen Augen und den spöttischen Blick fand ich einfach toll. Er sah ein bisschen wie Hape Kerkeling aus. Allerdings sollte seine Traumfrau viel jünger sein als ich und zudem das heftige Bedürfnis danach verspüren, Kinder in die Welt zu setzen. Kinder? Mit mir nicht mehr.
Ich konnte nicht so recht begreifen, dass Männer um die vierzig immer noch Kinder wollten. Schade, unter den Umständen durfte ich mich nicht für den lustigen Buchhalter begeistern.
Doch plötzlich, eines schönen Tages hatte Buchhalter sein Profil
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