Finger, Hut und Teufelsbrut
KERLE«
schrieb, den ultimativen Ratgeber für den stickenden Mann, Bestseller und unentbehrlicher Klassiker der Handarbeitsliteratur, übersetzt in siebenundsiebzig Sprachen und Dialekte. Die Bundespräsidentin war gerade dabei gewesen, ihm das Verdienstkreuz am Bande zu verleihen, für den selbstlosen Einsatz zum Wohle stickender Männer allüberall.
Und dann hatte das Telefon geklingelt.
Mit offenem Mund und wirrem Blick, den Hörer am Ohr, setzte er sich im Bett auf.
Es war leider ein Fakt, dass einen das Alter zwar weiser, gelassener und glücklicher machte, aber nicht unbedingt schöner. Schon gar nicht am frühen Morgen, kurz nach dem Aufwachen.
Gott sei Dank konnte sich Seifferheld in diesem Moment nicht sehen. Ein Sabberfaden lief ihm aus dem Mund, in seinen Augenwinkeln klebten Sandkörner (die Vorstellung, dass es sich dabei um Staubpartikel, Zellreste und getrocknete Sekrete handelte, fand er eklig, weswegen er bis zum heutigen Tag an den Sandmann glaubte) und über seine linke Gesichtshälfte zogen sich Knautschfalten so tief wie der Marianengraben.
»Was? Wer?« Er hustete etwas Schleim ab.
»Ich bin’s, Undine Söback. Vom SWR . Sie erinnern sich?«
Schlagartig war Seifferheld hellwach und zog sich die Decke bis ans Kinn, weil er im Sommer nämlich nackt zu schlafen pflegte. »Frau Söback!«
»Ja, ich weiß, es ist sehr früh.«
Es war mitnichten früh. Ein Blick auf den Wecker zeigte: Es war halb acht. Seifferheld hatte tierisch verpennt.
Neben dem Bett saß Hund Onis mit randvoller Blase und starrte ihn finster, sehr finster an.
Abrupt lehnte sich Seifferheld im Bett vor. »Frau Söback! Wie nett, von Ihnen zu hören. Und keine Sorge: Ich bin wach.«
Jetzt schon,
fügte er in Gedanken hinzu.
»Herr Seifferheld, wir hatten doch darüber gesprochen, ob Sie sich vorstellen könnten, einmal wöchentlich eine Viertelstunde über das Sticken zu reden. Jetzt hat sich durch einen unerwarteten Krankheitsfall ein Zeitfenster aufgetan.
Bärbels Basteltipps
entfallen vorübergehend, weil unserem Bärbele der Blinddarm geplatzt ist. Es geht ihr mittlerweile wieder gut, aber die Rekonvaleszenz wird dauern. Wir brauchen dringend Ersatz und haben dabei an Sie gedacht. Übermorgen im SWR -Studio bei Ihnen in der Gelbinger Gasse, na, was sagen Sie?«
»Was? Ich soll wirklich ins Radio?« Vor Überraschung rutschte ihm die Decke nach unten. Aber er musste nicht lange überlegen. Seifferheld war jahrelang ein heimlicher Sticker gewesen. Und jetzt, wo er sich geoutet hatte, ging es ihm wie vielen anderen, die endlich zu ihrem wahren Ich standen: Es konnte ihm gar nicht öffentlich genug sein.
»Aber gerne doch!«, rief er tollkühn.
»Herrlich. Ich freue mich auf Sie!« Undine Söback legte auf.
Seifferheld strampelte sich die Decke von den Beinen und sah zu Onis. »Dein Herrchen wird ein Radiostar! Was sagst du jetzt?«
»Ich sagen, Sie seien sähr schöner Mann, oho!«
Onis hatte nicht plötzlich sprechen gelernt (und wenn doch, hätte er wahrscheinlich so was wie »Komm in die Hufe, Alter, und zwar hurtig, mir platzt gleich die Blase!« gesagt).
Nein, es war die kasachische Putzfrau Olga Pfleiderer, die zweimal die Woche zur Kehrwoche im Seifferheldschen Haushalt vorbeikam. Wobei sie nicht wirklich putzte. Sie rauchte nur Kette und trank Kaffee und gab zu allem und jedem ihren Kommentar ab. Insbesondere zu Seifferhelds Physiognomie, die sie sehr schätzte.
Seifferheld hätte sie zu gerne gefeuert, aber sie arbeitete schon längst nicht mehr für ihn, weil sie nach ihrer neuerlichen Verehelichung von sich aus gekündigt hatte. Nur aus alter Verbundenheit kam sie immer noch regelmäßig vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Sie hatte ihren Hausschlüssel nie abgegeben und tauchte gern voranmeldungslos auf. So wie jetzt.
»Wann Sie kommen in Radio? Ich wollen hören!«, sagte Olga lächelnd, und ihr Blick wanderte dabei genüsslich nach unten.
Erst da realisierte Seifferheld, dass er ja die Decke abgestreift hatte. Rasch zog er sie wieder bis ans Kinn.
»Und wer ist fremde Frau in Gästezimmer?« Olga blies ungnädig einen Schwall Zigarettenrauch in sein Schlafzimmer. »Sie jetzt haben Zweitfrau? Warum nehmen indisches Hupferchen und nicht gestandene Kasachin, warum?«
Seifferheld schloss die Augen und sank wieder aufs Bett.
Das konnte ja heiter werden!
Fand auch Onis, der sich in diesem Moment mit beiden Vorderpfoten auf Siggis Bett abstützte und wie ein Wolf zu heulen anfing. Er sang den
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