Finger, Hut und Teufelsbrut
Tränen liefen ihr haltlos über das Gesicht. »Ich werde meinen Vater niemals wiedersehen. Und …« Sie hickste. »Und ich habe meinen Verfolger heute draußen auf der Gasse gesehen. Und er mich. Er weiß, wo ich bin.«
MaC nahm sie in den Arm. »Keine Sorge, wir finden einen Ausweg aus diesem Dilemma.«
Rani schüttelte den Kopf. »Es ist zwecklos.«
MaC fand die junge Inderin zunehmend theatralisch. Andererseits hatte sie gut reden: Ihr Vater war ja nicht verschwunden, sondern kümmerte sich auf seinem kleinen Weingut im Burgenland um die Reben.
»Unsinn!«, sagte Irmi, der Gefühlsduseleien jedweder Art noch viel mehr auf den Geist gingen. »Nichts ist jemals zwecklos. Es gibt immer einen Weg. Bauch rein, Brust raus, Kinn vor! Man kneift nicht vor dem Schicksal, man tritt ihm aufrecht entgegen!«
Im Hintergrund hätte jetzt ein Sousa-Marsch ertönen müssen, stattdessen spielte der CD -Spieler
East meets West – Ravi Shankar meets Daniel Hope.
Es war MaCs Idee gewesen, den Seifferheld-Haushalt in ein Klein-Indien zu verwandeln. Damit sich Rani wohler fühlte. Zumal Seifferheld ja ohnehin mit einem Arm voller Buddhas nach Hause gekommen war. Für MaC war es eine Frage der Ehre gewesen, für ein stimmiges Gesamtbild zu sorgen, das alle Sinne ansprach.
»Jawohl, es gibt immer einen Weg!«
Siggi staunte. MaC gab Irmgard recht? Sie, auf einer Wellenlänge mit seiner Schwester? Das musste am Sauerstoffmangel in ihrem Gehirn liegen.
»Wir kapitulieren nicht, jetzt erst recht nicht! Siggi wird die Entführung zu verhindern wissen. Und er wird Ihren Vater finden.«
Die drei Frauen sahen ihn auffordernd an.
»Aber ja.« Seifferheld lächelte huldvoll und glaubte dieses
Aber ja
in diesem Moment sogar selbst. Sein Vertrauen in die ehemaligen Kollegen und in den deutschen Polizeiapparat war nahezu unbegrenzt. Er würde mit den richtigen Leuten reden, und alles würde seinen geordneten Gang nehmen.
Wenn er ehrlich sein sollte – so ganz glaubte er Rani Chopra nicht. Bestimmt war sie von allem überzeugt, was sie sagte, er besaß genug Menschenkenntnis, um mit Gewissheit davon auszugehen, dass sie nicht log. Aber ihm schien, dass sie viel zu viel Phantasie besaß und demzufolge auch viel zu viel in die Sache hineininterpretierte.
Seifferheld war ziemlich sicher, dass sich alles in Wohlgefallen auflösen würde. »Ich regele das. Kein Problem«, erklärte er vollmundig.
Es sollte sich zeigen, dass diese Aussage in der Liste der fehlgeleitetsten letzten Worte aller Zeiten auf Platz drei landen würde, gleich hinter den letzten Worten des Gourmets (»Diese Pilzsorte ist mir neu.«) und des Bergsteigers (»Der Haken hält.«).
Mitternacht
Ich hatte eine Farm in Afrika … (Tanja Blixen)
Erzbischof Desmond Tutu hatte einmal gesagt: »Als die weißen Missionare nach Afrika kamen, hatten sie die Bibel und wir das Land. Sie sagten, ›lasst uns beten‹. Wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, hatten wir die Bibel, und sie hatten das Land.«
Die Afrikaner, die in den letzten vierundzwanzig Stunden in Kontakt mit Pfarrer Hölderlein gekommen waren, fanden, dass ihre Vorfahren noch von Glück reden konnten. Schließlich waren sie damals nur bekehrt und geplündert worden, nicht olfaktorisch gefoltert.
Schwester Mary und Schwester Ruth von der evangelischen Missionsstation, zu der Hölderlein befohlen worden war, sahen sich in ihrem Glauben schwer, sehr schwer geprüft. Als ob sie ins Visier eines zornigen, alttestamentarischen Gottes geraten wären. Ja, schon klar, der arme Herr Pfarrer konnte nichts dafür, dass er als Prüfung in seinem Erdenleben mit einer enorm sensiblen Reizverdauung ausgestattet worden war. Aber diese infernalischen Ausdünstungen! Und es stimmte nur bedingt, dass man die schwefeligen Winde irgendwann nicht mehr wahrnahm, weil der Geruchssinn die Waffen streckte und sich aus dem Reigen der Sinne verabschiedete. O nein, jedes Mal, wenn man nur kurz den Raum verließ und dann wiederkam, erschlug einen der Gestank von neuem. Wie sollten sie das nur drei Monate aushalten? Beten half da nur bedingt.
Pfarrer Hölderlein seinerseits haderte ebenfalls mit seinem Schicksal. So schlimm war es noch nie gewesen. Hatte er sich mit diesem Auftrag überfordert? Er wollte ja gute Werke tun, aber alles war so fremd, alles jagte ihm Angst ein, und immer war es so heiß! Die ganze letzte Nacht hatte er sich entweder schlaflos-schwitzend im Bett gewälzt oder furchtbar gealpträumt. Das hier
Weitere Kostenlose Bücher