Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finger weg Herr Doktor!

Finger weg Herr Doktor!

Titel: Finger weg Herr Doktor! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
Vom Netzwerk:
Segen, daß unser verantwortungsvoller Beruf eine nie endende Flut interessanter Arbeit mit sich bringt.«
    »Sehr richtig«, pflichtete ihm Sir Lancelot bei. »Wie Sie wissen, ging ich vorzeitig in den Ruhestand - auf der Höhe meiner Schaffenskraft. Aber ich glaubte, mein Teil für die Menschheit und das Finanzamt getan zu haben. Ich wollte mein Landhaus in Wales genießen. Vielleicht war das zu selbstsüchtig von mir.«
    »Wir alle hielten es für eine ausgezeichnete Idee«, versicherte ihm der Dean mit Wärme.
    »Da starb meine arme Frau. Jetzt bin ich einsam. Fischen kann man nur in der Saison. Man kann nicht ununterbrochen als Tourist um die Erde kreisen. Da ich Engländer bin, interessiere ich mich nicht sonderlich für Lokalpolitik, die mir sowieso unverständlich ist. Ich brauche einen Lebenszweck.«
    Der Dean nickte: »Man sagt, daß Briefmarkensammeln sehr interessant sein kann. Oder das Sammeln von Schmetterlingen und Nachtfaltern. Vielleicht versuchen Sie’s mit Vogel- oder Höhlenkunde?«
    »Mein lieber Dean«, Sir Lancelot erhob sich, die Hände auf dem Rücken, und schickte sich an, langsam den Raum zu durchmessen. »Sie kennen doch den Stiftungsbrief unseres ehrwürdigen Spitals?«
    »Verliehen von Ihrer Majestät, Königin Elisabeth I.«, rezitierte der Dean genüßlich. »Ich habe oft das Originalpergament studiert. Wirklich ehrfurchtgebietend, wie unser Leben auch heute noch von diesen Satzungen regiert wird.«
    »W i r k l i c h ehrfurchtgebietend.« Sir Lancelot hielt inne, um zu husten. »Dann werden Sie sich erinnern, daß Internisten und Chirurgen des Spitals, selbst wenn sie sich von der aktiven Arbeit zurückgezogen haben, jederzeit das Recht zusteht, zurückzukehren und nach eigenem Gutdünken die Behandlung von Patienten zu übernehmen. Der Zweck ist klar: Unsere Gründer fanden es wünschenswert, die lange Erfahrung eines Chirurgen im Ruhestand nicht brachliegen zu lassen.«
    »Lancelot!« rief der Dean.
    »Damals freilich gingen die Leute in den Ruhestand, um der Königin zu dienen oder die amerikanischen Kolonien zu erforschen.«
    »Von diesem Recht ist in der ganzen Geschichte von St. Swithin noch niemals Gebrauch gemacht worden!« rief der Dean, wobei ihm das Blut zu Kopf schoß.
    Sir Lancelot fixierte ihn. »Dann wird das eben jetzt der Fall sein, Alter.«
    »Aber, aber... das ist doch unerhört, einfach unerhört! Was, glauben Sie, würden die Patienten dazu sagen? Angenommen, Sie gehen auf Professor Binghams Station und teilen einfach einem der Patienten mit, daß Sie seine Gallenblase entfernen wollen - «
    »Da meine Honorare die höchsten von London waren, würde er höhere Vergütungen von der Krankenkasse bekommen.«
    Der Dean schlug auf den Tisch: »Ich werde dafür sorgen, daß die Satzungen geändert werden.«
    »Dazu ist ein Parlamentsbeschluß erforderlich. Verlangen Sie es vom Premierminister, wenn Sie wollen, aber er wird möglicherweise wichtigere Dinge im Kopf haben.«
    »Lancelot, das ist wirklich unvernünftig von Ihnen«, fuhr der Dean ärgerlich fort. »Das Ministerium wird kopfstehen. Und gerade jetzt, wo ich die Nase...«Erstockte.
    »Ja?« fragte Sir Lancelot.
    »Ach, ich leide in letzter Zeit unter Heuschnupfen... Nein, nein, das kommt überhaupt nicht in Frage.«
    »Wir werden ja sehen. Inzwischen werde ich einen Streifzug im vertrauten Revier unternehmen. Wir sehen uns also nach dem Essen. Und sorgen Sie bitte dafür, daß ein Gefäß von entsprechender Größe für die Harnprobe bereitsteht. Ihr Internisten verwendet manchmal Behälter, die den Eindruck erwecken, als könnte ein Kamel durch ein Nadelöhr pinkeln.«

3

    »Du meine Güte«, murmelte Sir Lancelot Spratt, »welch Sakrileg!«
    Er fühlte einen Klumpen in der Kehle. Eine Träne hatte sich im Augenwinkel gebildet, rann langsam über die runzlige Wange und versickerte im Bart. Er tupfte sie mit dem rot-weißen Taschentuch weg und ordnete mannhaft seine Gesichtszüge.
    »Man soll nicht über Stein und Mörtel trauern«, sagte er streng zu sich selbst. »Aber es ist traurig, den Schrein seiner Erinnerungen zu verlieren.«
    Der Grund seines Schmerzes war der chirurgische Trakt von St. Swithin. Ein schönes Gebäude war er nie gewesen. Er war zu jener Zeit errichtet worden, als Lord Lister unter dem Titel »aseptische Chirurgie« eine Menge neumodischen Unsinn einführte; als die Architekten glaubten, daß Einrichtungen für arme Kranke ein abstoßend kirchliches Aussehen haben müßten, um die

Weitere Kostenlose Bücher