Finkenmoor
Maxi kicherte. Zahnpflege war offenbar ein Fremdwort für den Esel.
Sina und Jana riefen und winkten von Weitem, stiegen in einen großen Van. Maxis Herz hüpfte. Mit der Einladung zur Party wurden sie und die anderen Mädchen vielleicht doch Freundinnen. Sie konnte es kaum abwarten, Diane davon zu erzählen.
Die großen Knopfaugen des Esels erinnerten Maxi an Welpen. Bernhardinerbabys. Ob sie wohl einen zum Geburtstag bekam? Paps kannte ihren Wunsch, aber das musste nichts heißen. Zum einen vergaß er oft Dinge, und zum anderen hielt er viele Sachen, die wirklich bedeutsam waren, für überflüssig.
Maxi seufzte. Seit Mamis Tod war alles viel schwerer.
Der Esel hatte die letzte Möhre im Maul. Maxi sprang vom Zaun, bedachte das Tier noch einmal mit einem Lächeln, rannte zum Sportplatz zurück und näherte sich dem Tor.
Zu ihrer Überraschung war das Gelände wie leer gefegt, sämtliche Lichter erloschen. Maxi bemerkte, dass nicht einmal Coach Dieckmanns Auto neben dem roten Holzgebäude parkte. Vielleicht wäre es besser gewesen, Bescheid zu sagen. Aber mit Sicherheit hätte die Trainerin die Eselfütterung nicht erlaubt. Erwachsene konnten einem jeden Spaß verderben.
Maxi stand unschlüssig da, bemerkte erst jetzt die einbrechende Dunkelheit. In den Häusern zur rechten Seite brannten Lichter. Ansonsten war es ziemlich düster, und der Wind, der über die Felder kam, wehte eisig.
Bei Cuxhaven-Altenwalde
Kilian schlug die Augen auf. Sofort stieg ihm der Geruch von Urin in die Nase. Der durchdringende Gestank lag wie ein unsichtbarer Schleier auf den wenigen Habseligkeiten, die der Raum barg, und transpirierte durch die Bahnen der teils abgerissenen Blümchentapeten. Drei leere Bierdosen lagen in Reichweite. In einer Ecke türmten sich fettige Pappschachteln mit Pizzaresten. Er nahm sich vor, sie endlich zu entsorgen.
Ratten hatten ihnen gerade noch gefehlt.
Der Anblick des Koffers beruhigte ihn. Darin lagen einige Gegenstände, die er zu Geld machen konnte. Allerdings nur, wenn ihm nichts anderes einfiel. Es waren geklaute Dinge. Einige gehörten seinem Vater, andere hatte er bei Freunden oder in Läden mitgehen lassen. Im Notfall musste man eben zum Äußersten bereit sein.
Nach dem Tod seiner Mutter war ihm klar geworden, wie schnell alles vorbei sein konnte und wie wenig Notiz die Welt davon nahm, wenn ein Mensch die Erde verließ. Ihr Unfalltod führte ihm die Bedeutungslosigkeit seines Seins vor Augen. Was auch passierte, die Welt drehte sich weiter. Schule, Partys, Sommerferienstau. Alles lief, als hätte seine Mutter nie gelebt, als wäre sie nicht an diesem wunderbaren Sommertag in ihrem Fahrzeug verblutet.
Der Aufprall war so heftig gewesen, dass sie unter einen Lkw krachte. Dabei wurde ihr Körper in zwei Hälften getrennt. Die geteilte Frau. In der Welt der Magier ein Klassiker, im realen Leben klatschte niemand.
Seine Welt hatte sich seitdem drastisch verändert. Lebe im Jetzt, lautete nun seine Devise. Dazu gehörte auch, sich alles zu nehmen, was er brauchte. Diebstahl war das in seinen Augen nicht. Über Konsequenzen dachte er kaum nach. Aus seiner Sicht besaßen die meisten Menschen sowieso zu viel, und immerhin machte er ja auch eigene Sachen zu Geld. Seinen nagelneuen Apple iPod mit sämtlichem Zubehör zum Beispiel oder die Citizen-Promaster-Solar-Uhr, Wert über fünfhundert Euro, von den beiden Special-Snowboards ganz zu schweigen. Er brauchte den ganzen Schrott nicht. Statussymbole, anerzogenes Prestige. Da hatte ihm Josie die Augen geöffnet.
Sein Blick streifte ihren schmalen Körper, die rot gefärbten Wuschelhaare und das frische Nasenpiercing. Vielleicht hätten sie es nicht selbst stechen sollen, die Einstichstelle schien sich entzündet zu haben. Josie zitterte im Schlaf.
Kilian zog die Decke über ihre Schultern.
Es gab Tage, da konnte er immer noch nicht fassen, dass Josie neben ihm lag. Seit er das Gymnasium besuchte, war sie ihm nicht aus dem Kopf gegangen. Unerreichbar, zwei Stufen über ihm. Cool. Unnahbar. Er kannte einige Jungs, die ihretwegen nachts wach lagen, und niemals, selbst in seinen kühnsten Vorstellungen, hätte er sich Chancen bei ihr ausgerechnet.
Josie umgab etwas Dunkles und Geheimnisvolles. Bei einer Begegnung in der Disco vor sieben Wochen hatte seine Stunde geschlagen, als Josie ihre Stempelkarte beim Rausgehen nicht zahlen konnte. Ohne einen Augenblick zu zögern, war er eingesprungen und hatte die Rechnung von über vierzig Euro beglichen.
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