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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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lief dann alles aus dem Ruder.
    Neulich hatte sie zufällig einen alten Mann beobachtet, der Geld am Automaten der Dresdner Bank in Cuxhaven zog. Sie folgte ihm bis in die Bahnhofstraße, drängte ihn in einen dunklen Hauseingang, hielt ihm ihre täuschend echt aussehende Softair-Pistole unter die Nase und verlangte seine Kohle. Fassungslos hatte Kilian sich ihr aufgekratztes Gekreische angehört, als sie nach Hause kam.
    »Wieso machst du so eine Scheiße?«, hatte er gebrüllt. »Bist du völlig hirnlos? Du kannst doch nicht einen Menschen mit einer Waffe bedrohen und sein Geld klauen!«
    »Softair-Pistole! Keine echte Waffe!«
    »Das sieht man aber nicht! Was ist, wenn die Bullen dich finden? Hast du wenigstens eine Maske getragen?«
    »Alter, chill mal!«
    Kilian war außer sich vor Wut. »Ach, du bist doch bescheuert. Wenn du so weitermachst, landest du noch im Knast!«
    Und wirklich. Zwei Tage später hing überall in Cuxhaven Josies Phantombild mit der Bitte um Hinweise. Zugegeben, darauf war sie nicht wirklich zu erkennen, aber seitdem verbrachte sie die Tage vorsichtshalber im Haus, scheuerte wie eine Verrückte die Böden und wusch mehrmals täglich das Geschirr, auch wenn es eigentlich sauber war. Die restliche Zeit verschlief sie, während er die notwendigen Besorgungen machte. Dabei fuhr er mit einem mulmigen Gefühl durch die Gegend, und der Gedanke, Josie zu verlassen, nahm immer mehr Raum ein. Wenn sie nur nicht so verdammt sexy wäre. Und wenn sie ihn Süßer nannte und mit ihm schlief, lösten sich all seine Vorbehalte in Wohlgefallen auf.
    Frierend tastete er jetzt nach einer Bierdose und überlegte, wann er am besten losführe, um Stoff zu besorgen. Josie brauchte den, sonst war der Abend gelaufen.
    Entschlossen drückte er die Handynummer seines Dealers und erfuhr, dass er sich im Café gegenüber vom »Fischer Treff« im Hafen aufhielt. Kilian streifte Klamotten über und stieg keine fünf Minuten später in seinen Wagen. Noch bevor er den Motor starten konnte, klingelte sein Handy.
    »Maxi hatte Fußball und wartet darauf, dass ich sie abhole.« Johann Bernsen klang gereizt. »Ich stehe im Stau kurz hinter Bremerhaven und komme hier so schnell nicht weiter!«
    »Und Diane?«
    »Sie hat heute frei und ist jetzt beim Pilates. Du musst deine Schwester vom Training abholen.«
    »Ich? Wo denn, ich –
    »In Sahlenburg auf dem Sportplatz!«
    »Aber –«
    »Keine Diskussion! Fahr los. Sofort!«

Cuxhaven 2012, Haydnstraße
    Der Rohling hatte die Nacht auf dem Trocknungsgestell gut überstanden. Nun beschien die Januarsonne den Esstisch, streifte verschiedene Wasserschalen, Schwämme, Pinsel in unterschiedlichen Größen.
    Nach einem reichhaltigen Frühstück mischte Norma LCD-Farbtöne auf einer Palette an. Es war unglaublich lange her, dass sie sich so beschwingt gefühlt hatte. Ihre Sorgen schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Übergewicht, Schulden und überhaupt diese ständige Leere in ihrem Leben, Schnee von vorgestern.
    Als ihr der Grundhautton gefiel, nahm sich Norma das linke Bein vor, färbte es blassrosa und wischte zu dick aufgetragene Stellen mit einem Schwämmchen fort. Um eine möglichst reale Wirkung zu erzielen, trug sie mehrere Schichten auf und tupfte neue Farbe nur über ausgesuchte Stellen. Dadurch erreichte sie, wie in den Anleitungen beschrieben, das realistische, plastische Aussehen des Körperteils.
    Um den Trockenvorgang zu beschleunigen, föhnte sie das bemalte Beinchen. Zu ihrem Schreck verfärbte es sich in Sekundenschnelle grell orange. Es sah aus, als habe sie es mit Jod eingerieben.
    Hastig blätterte Norma in ihren Unterlagen und las, dass die mit Farbe behandelten Vinylteile vierundzwanzig Stunden an der Luft trocknen mussten und niemals geföhnt werden durften. Zu spät. Das Bein wies hässliche Flecken auf, die sich nicht wieder entfernen ließen.
    Völlig geknickt öffnete Norma eine Schachtel Mon Chéri, stopfte sich die Schokoladenstückchen nacheinander in den Mund und tröstete sich schließlich mit dem Gedanken, dass kaum jemand jemals dieses Bein zu sehen bekommen würde.
    Um weitere Fehler zu vermeiden, überflog sie noch einmal sämtliche Warnhinweise und erfuhr, dass Hitze oder Sonne den Vinylteilen im getrockneten Zustand nichts anhaben konnten. Es beruhigte sie, dass die Färbung auf der Haut generell nicht verblassen oder sich abnutzen konnte.
    Erleichtert verschlang sie noch zwei Plastikschalen mit Heringssalat, widmete sich danach

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