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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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Seitdem wich sie kaum von seiner Seite.
    Und Kilian kam sein bisheriges Leben unglaublich farblos und banal vor. Frühstück mit der Familie, Nachmittage vor dem Computer und Brettspiele mit seiner kleinen Schwester schienen Lichtjahre entfernt. Die Anhäufung von materialistischen Gütern, einfach lächerlich. Sein Wunsch nach einem Swimmingpool im Garten, geradezu infantil. Zu dumm, dass Bauarbeiter längst eine Grube ausgehoben und dabei den Rosengarten seiner Mutter zerstört hatten. Heute fand Kilian das unverzeihlich.
    Die Vergangenheit, nichts als alberne Zeitverschwendung. Er fuhr nur nach Hause, wenn er frische Sachen brauchte oder heiß duschen wollte. Bei solchen Besuchen packte Kilian den Rucksack mit Lebensmitteln voll und ließ etwas Geld mitgehen. Sein Vater ließ ihn in Ruhe. Solange er zur Schule ging, schien Johann Bernsen alles egal zu sein.
    Aber Kilian spielte mit dem Gedanken hinzuschmeißen, wie Josie. Sie schwänzte seit Wochen die Schule. Seit über drei Monaten bewohnte sie dieses leer stehende Haus nahe Altenwalde. Es stand einsam im Feld, nur einen Steinwurf von der A 27 entfernt.
    Kilian wusste nicht, warum Josie von zu Hause abgehauen war. Von ihren Eltern sprach sie abfällig. Aus den wenigen Andeutungen, die sie machte, reimte er sich zusammen, dass sie in Otterndorf lebten, eine gut gehende Arztpraxis besaßen und von ihr erwarteten, dass sie sich als netter, vorzeigbarer Teenager präsentierte. Anscheinend hatte es immer wieder heftige Auseinandersetzungen gegeben. Als Höhepunkt der Eskalation gab Josie an, dass ihre Mutter sie mit Drogen erwischt hatte. Eine Wohngruppe für schwer erziehbare Mädchen sollte die Lösung sein. Da hatte Josie ihren Rucksack gepackt und sich in diesem alten Haus eingenistet.
    Kilian fragte sich, wem das Gebäude gehörte und ob der Besitzer vielleicht eines Tages vor der Tür stehen und sie davonjagen würde. Josie lachte nur, wenn er solche Bedenken äußerte. »Schisser«, sagte sie. »Wer will denn schon in so einer Bruchbude hausen?«
    Es schien plausibel, das Haus war marode und feucht. Davor türmten sich Schrott und Gerümpel. Offenbar wurde hier regelmäßig illegal Müll abgeladen. Alte Kloschüsseln, Waschbecken, profillose Reifen, Kühlschränke, mehrere Autobatterien und fleckige Matratzen erschwerten den Zugang zum Gebäude. Kilian hatte die Sachen zur Seite räumen wollen, aber Josie hatte ihn davon abgehalten. »Lass alles so. Ich finde es gar nicht schlecht, dass man nicht so einfach ins Haus kommt.«
    Drinnen war es einigermaßen gemütlich, jedenfalls, wenn man keine Ansprüche stellte. Obwohl Kilian Josie zugutehalten musste, dass sie wirklich versuchte, Ordnung zu halten. Nach jeder Mahlzeit wusch sie das schmutzige Geschirr in einer Plastikschüssel, kehrte täglich die Räume und bestand darauf, dass er die Schuhe vor der Tür auszog.
    Das fand Kilian einfach lächerlich.
    Egal, wie oft man die Bude fegte, sie blieb ein Drecksloch. Bewohnbar war im Prinzip nur ein Zimmer. Es lag im unteren Stockwerk, hatte sogar Fenster und einen gemauerten Kamin, der zwar nicht richtig zog, aber immerhin konnte man dort Holzscheite verbrennen. In einer Ecke lag eine Matratze auf dem Steinboden, über deren Herkunft sich Kilian lieber keine Gedanken machen wollte. Dann gab es noch einen Tisch, der als Ablage für sämtlichen Kram diente. Stühle besaßen sie nicht.
    Kilian und Josie hielten sich überwiegend im Bett auf, dem wärmsten Ort im Haus. Sobald es dunkel wurde, erhellten Grablichter den Raum. Josie hatte sie im ganzen Zimmer verteilt. Dreiundfünfzig Stück. Aus Langeweile hatte Kilian sie gezählt. Josie und er brauchten ewig, wenn sie alle anzündeten.
    Kilian organisierte die meisten Dinge, die sie zum täglichen Leben brauchten, und fühlte sich für Josie verantwortlich, obwohl sie ein Jahr älter war. Er fand es rührend, wie sie sich bemühte, ihnen ein Zuhause zu schaffen, und wollte seinen Teil beitragen.
    Leider trank sie ziemlich viel, pumpte sich mit Drogen voll und wurde dann aggressiv. Das nervte Kilian allmählich. In letzter Zeit dachte er sogar darüber nach, einfach nicht mehr zu Josie zurückzufahren.
    Der Gedanke schockte ihn.
    Er hatte sie gewollt, von Anfang an. Aber so faszinierend er sie auch fand, im Grunde hatte er genug mit sich selbst zu tun und konnte sich nicht auch noch mit ihren Gefühlsschwankungen belasten. Außerdem besaß Josie offenbar das Talent, sich in verheerende Situationen zu bringen, und dabei

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