Finkenmoor
konnten. Bisher verstand das Tier schon Handy, Messer, Schere, Portemonnaie, und nun wollte Ivo, dass Moses ihm den Comic holte, der im Wohnzimmer auf einem Sessel lag.
»Warum soll er dir denn den Comic bringen?«, fragte Iska.
»Damit ich was zu lesen habe, wenn ich auf dem Klo sitze.«
»Ach, Ivo!«
Der Junge hielt Moses den Comic hin. Der Hund bellte und schnupperte. »Comic«, sagte Ivo. »Comic.«
Nach einer Weile rollte Ivo durch die Diele ins Wohnzimmer, legte einen Kamm, Iskas Handy und das Comicheft in einer Reihe aufs Sofa und kam, von Moses begleitet, in die Küche zurück. »Bring das Handy!«
Der Westi lief los, verschwand im Flur, kam mit dem Mobiltelefon zwischen den Zähnen zurück und brachte es an den Tisch. »Guter Hund!« Ivo kraulte ihn und gab ihm Leckerchen. »Jetzt hol mir den Comic! Lauf!«
Moses zögerte, rannte einmal um den Tisch, stürzte in den kleinen Flur, ins Wohnzimmer und brachte, zu Iskas Erstaunen, den Comic. »Super!« Ivos Stimme überschlug sich. »So ein kluger Hund!«
Iska klatschte in die Hände. »Er ist wirklich schlau!«
»Sag ich doch.« Ivo nahm Moses auf seinen Schoß und langte noch einmal bei den Keksen zu. Regen prasselte gegen die Fensterscheiben.
»Hast du dich bei diesem Eishockey-Team vorgestellt?«, fragte Iska kauend.
»Sledge-Eishockey«, korrigierte Ivo. »Ich trainiere schon seit ein paar Wochen mit der Mannschaft, und das habe ich dir auch schon erzählt.«
»Entschuldige. Macht es denn Spaß?«
»Und wie!«
Iska lauschte ihrem Enkel, der euphorisch von seinem Training auf der Eisbahn berichtete, und hörte genau zu. Sie wollte sich diesmal alles merken. Zum Beispiel, dass die Spieler bei dieser besonderen Form des Eishockeys nicht auf Kufen, sondern auf kleinen Schlitten übers Eis fegten. Zur Beschleunigung benutzen sie zwei kurze Schläger, die am Ende mit Spikes besetzt waren. »Damit bist du voll schnell«, meinte Ivo.
Gegen achtzehn Uhr wurde der Junge unruhig. »Ich muss gleich nach Hause. Mama kommt in einer Stunde, und ich habe versprochen, heute Pfannkuchen zu machen. Zeigst du mir noch einmal Opas P 38?«
»Heute nicht, mein Schatz.«
»Och bitte!«
Iska mochte es nicht, wenn Ivo nach der Pistole fragte, die Friedrichs Vater nach dem Krieg behalten hatte.
Der Junge war ganz verrückt nach der Waffe. Iska versteckte sie aus diesem Grund zusammen mit ein paar Patronen in ihrem Schlafzimmer.
»Die ist zweihundertdreizehn Millimeter lang, wiegt ungeladen null Komma neun sechs Kilogramm, fasst acht Schuss«, ereiferte sich Ivo mal wieder. »Für die P-Walther gab es sogar einen Schalldämpfer. Hab ich alles aus dem Internet!«
»Du und das Internet«, sagte Iska. »Schluss für heute! Ich fahre dich jetzt nach Hause. Es regnet in Strömen.«
Cuxhaven-Sahlenburg, Am Sande
Als Ivo am Montag aus der Schule kam, warf er seinen Rucksack unter die Garderobe, rollte müde in die Küche, öffnete die Kühlschranktür und trank einen Schluck Milch aus der Tüte. Der Lichtstrahl des Kühlschranks fiel auf sein ovales Gesicht. Diese langen Schultage stressten ihn, und er war froh, zu Hause zu sein. Er ignorierte die Königsberger Klopse mit Reis, die seine Mutter ihm zum Aufwärmen vorgekocht hatte, griff nach dem Goudablock, biss hinein und hielt den Käse mit den Zähnen fest. Gekonnt gab er mit beiden Händen Schwung auf die Reifen seines Rollstuhls und hielt vor dem Küchenfenster.
Auf der gegenüberliegenden Seite reichten die Ausläufer des Wernerwalds bis an die Straße.
Schon als kleiner Junge war Ivo hier mit den Nachbarskindern herumgetollt. Damals hatte der Wald sie endlose Nachmittage lang verschluckt. Erst bei Einbruch der Dunkelheit, widerwillig, und, wie sie sich gegenseitig bestätigten, nur weil die Eltern darauf bestanden, kehrten sie von einsamen Pfaden zurück, unterbrachen den Kampf zur Rettung der Welt, um gleich am nächsten Tag wieder loszuziehen.
Diese unbeschwerten Tage lagen Lichtjahre zurück.
Ivos Handy klingelte. Oma Iska wollte wissen, ob er zum obligatorischen Montag-Abendessen kam und Spaghetti wollte. Ivo stimmte begeistert zu, legte auf und gähnte.
Zum ersten Mal an diesem Tag kam er zur Ruhe, biss erneut in den Käse und umfasste den kleinen Megalithstein, der an einem dünnen Lederband um seinen Hals hing.
Seine Gedanken rasten zu Anne-Lene.
Der Anhänger war ein Geschenk an ihn zu seinem vierzehnten Geburtstag vor zwei Wochen gewesen. Er spürte einen Kloß im Hals. Heute hatte sie mit ihm
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