Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
Vom Netzwerk:
die Stange hielt. Keine Selbstverständlichkeit. Der Rest der Verwandten mied ihn wie die Pest.
    Erst jetzt öffnete er seinen Koffer, nahm als Erstes die Flasche Cognac, die er bei der Anreise im Discounter um die Ecke besorgt hatte, goss sich ein Glas ein, trank es genussvoll und lag ziemlich früh im frisch bezogenen Bett. Mit einem behaglichen Gefühl schlief er augenblicklich ein.
     
    Rolf Kallwitz schreckte am nächsten Morgen hoch, als es gegen neun Uhr an seiner Haustür klingelte. Er kümmerte sich nicht darum. Wahrscheinlich beharrte seine Mutter auf einem gemeinsamen Frühstück. Doch den Gedanken, ihr schon wieder gegenübersitzen zu müssen, ertrug Kallwitz nicht und zog sich die Decke über den Kopf. Als die Klingel jedoch wiederholt schrillte, sprang er schließlich aus dem Bett und riss entnervt die Tür auf.
    »Oberkommissarin Bleetz«, sagte die Frau und zückte einen Dienstausweis. »Und das ist mein Kollege Kommissar Riemann. Dürfen wir reinkommen?«
    Die Frage war rhetorisch, denn sie standen schon in der Diele.
    »Kann ich mir kurz etwas überziehen?«, fragte Kallwitz, der in Boxershorts und T-Shirt vor ihnen stand, als er sie ins Wohnzimmer geführt hatte.
    »Sehr gerne«, sagte die Kommissarin, dabei streifte ihr geübter Blick die Einrichtungsgegenstände.
    Kallwitz verschwand im Schlafzimmer, sprang in eine Jogginghose und ging ins Wohnzimmer zurück.
    »Herr Kallwitz, Sie wissen, dass Sie sich keiner Schule und keinem Spielplatz in der Umgebung nähern dürfen«, sagte die Kommissarin in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, wie sehr sie ihn verabscheute.
    Er nickte und rieb seine schwitzigen Handflächen aneinander.
    Sie saß neben ihrem Kollegen auf der Kante seines Sofas, hatte die Beine übereinandergeschlagen und ließ ihn nicht aus den Augen. Ihre dunkelblauen Collegeslipper waren blitzblank poliert. Ehering. Mollig, rundes Gesicht, Pferdeschwanz. Wahrscheinlich zahlten sie und ihr Mann ein Reihenhaus ab und hatten zwei Kinder. Ein Allerweltstyp, aber sie konnte ihm das Leben zur Hölle machen.
    »Herr Kallwitz, haben Sie alles verstanden?«
    Klar habe ich verstanden, ich bin ja nicht blöd . Er beherrschte sich, seinen Unmut wollte er trotzdem äußern. »Hören Sie, das ist doch fast unmöglich! Überall gibt es Schulen, und Spielplätze sowieso. Wie soll ich mich da fernhalten?«
    »Herr Kallwitz, ich sage Ihnen nur, worauf Sie besser achten. Sie haben eindeutige Auflagen. Ein Verstoß, und ich sorge dafür, dass Sie schneller wieder einsitzen, als Sie gucken können.« Der Tonfall von Mrs. Allerwelt wurde drei Nuancen schärfer, sie schien nicht gewillt, mit ihm zu diskutieren.
    Kallwitz setzte sich auf den einzigen Sessel, fuhr sich durch die welligen Haare, lehnte sich dann zurück und wartete. Er wusste nicht, wie oft das Gespann solche Ansprachen hielt, und es interessierte ihn auch nicht. Fakt war, dass er unter Berücksichtigung bestimmter Vorschriften tun und lassen konnte, was er wollte. Freie Wohnortwahl inklusive, das war ein Grundrecht. Offiziell hatte er sich diese Region ausgesucht, weil seine Mutter hier lebte. Ein verständlicher, nachvollziehbarer Grund. Zudem mochte Kallwitz die Nordsee und die Menschen hier, die vielleicht noch nicht so sehr von Argwohn geprägt waren.
    Er wusste, dass Typen wie er bei der Polizei auf der untersten Stufe standen und mancher Beamte nur darauf wartete, dass er gegen Auflagen verstieß. Die Oberkommissarin schien aus diesem Holz geschnitzt. Sie erhob sich und betrachtete ihn abschätzig. »Wir haben Sie im Blick.«
    Er nickte, blieb bis zum letzten Moment ruhig und höflich.
    Als die Beamten endlich weg waren, wunderte sich Kallwitz über seine Gelassenheit, kochte starken Kaffee, schaltete den Fernseher ein, blieb bei der ersten Talkshow hängen und döste ein.
    Gegen fünfzehn Uhr schreckte er hoch. Aus welchem Grund auch immer kreisten seine Gedanken nun sofort um den Zettel, den er am Tag zuvor vom schwarzen Brett des Supermarkts abgemacht und in die Innentasche seiner Lederjacke gesteckt hatte. »Ehrenamtlicher Betreuer für Eishockeyteam gesucht«.
    Schmale Jungenkörper, verschwitzte Trikots. Sein Verlangen, in diese Szenerie einzutauchen, sich Vertrauen zu erschleichen und seine Phantasien endlich wieder ausleben zu können, wuchs augenblicklich.
    Wir haben Sie im Blick. Mrs. Allerwelts Worte durchschnitten seine Gedanken. Er musste sich am Riemen reißen, er wollte nicht gleich wieder in den Knast wandern.
    Er

Weitere Kostenlose Bücher