Finne dich selbst!
Saubermann und großer Hygieniker, nicht nur in der Sauna.
Wir wollen einen ersten Eindruck von Lahti bekommen und spazieren Richtung Hafen. Ich bin begeistert, und Hermann und Ilse sind es nicht weniger. Erst gehen wir durch die Sportanlage Kisapuisto. Hier ist die Hölle los. Tennis, Fußball, Baseball. Dazu uns unbekannte finnische Sportarten. Es ist richtig Betrieb. Lahti pulsiert, und das bleibt auf dem gesamten Weg so. Wir gehen vorbei am Pikku Vesijärvi, dem kleinen Vesijärvi-See. Hier trifft sich jeden Abend die Jugend. Überall liegen die jungen Leute im Gras, rauchen, trinken, hören Musik. Dann stehen wir am Seeufer, vor der spiegelglatten Oberfläche.
»Ihr wohnt hier wie andere nur im Urlaub«, sage ich.
Hermann ist ganz aus dem Häuschen. Links schauen wir zu den Salpausselkä-Schanzen, den drei unterschiedlich hohen Skisprungtürmen, die als Ensemble das architektonische Wahrzeichen der Stadt sind. Von überall kann man sie sehen.
Wir schlendern weiter zum Hafen, denn wir haben Durst. Es wird Zeit für ein erstes finnisches Bier, und Axel will uns bei dieser Gelegenheit den schönsten Platz in Lahti zeigen: den Hafen mit den Restaurantbooten, den Cafés im ehemaligen Bahnhof und in der Lagerhalle. Hier gibt es auch immer wieder Tanzveranstaltungen. Zentral vor uns liegt das Teerenpeli, ein Restaurant-Boot, übersetzt »der Balzplatz des Birkhuhns«. Teerenpeli ist eine kleine, private Brauerei und Whisky-Destillerie. Sie haben zwei Niederlassungen in Lahti, diese im Hafen und eine zentral in der Innenstadt, Bierkneipe und Restaurant in einem. Direkt dahinter rechts steht die gewaltige Sibelius-Talo, die Sibelius-Halle, die um ein ehemaliges Fabrikgebäude neu konstruierte Konzerthalle.
Wir setzen uns. »Ich geb mal einen aus, auf die glückliche Fahrt und die pflegeleichten Beifahrer«, sage ich.
»Ich durfte ja nicht fahren«, sagt Ilse.
»Du solltest nicht! Ich bin drei Wochen lang euer Chauffeur. Du weißt doch, Eltern bekommen von Kindern so viel zurück.«
»Dann müssten wir aber mal einen ausgeben«, sagt Hermann.
»Später«, sage ich, »außerdem geht das alles vom Erbe runter. Also, was darf es sein?«
Ilse wünscht sich Alster. Bier mit süßem Sprudel. Darauf aber ist der Finne nicht gefasst. Für ihn gibt es absolut keinen Grund, Alkohol zu verdünnen. Wenn der Finne trinkt, will er Wirkung. An der Theke starrt man mich verständnislos an. Ich fühle mich wie Jamie Oliver, der auch vergeblich versucht hat, englisches Schulessen auf »gesund« umzustellen. Für die Thekenkräfte bin ich ein Marsmensch. Sprudel in Bier? Nein. Gibt es nicht.
So schnell gebe ich nicht auf. Könne man aber doch ganz einfach mixen.
»So?« Die Bedienung schaut mich mehr als skeptisch an.
»Ja, es ist ganz einfach. Das Glas mit Bier nur halb voll, der Rest Sprudel.«
»Aber dann würde ich das Bier doch verwässern.«
»Ja, das ist die Absicht.«
Entsetzen im Blick der jungen Frau hinter dem Tresen: »Warum?!«
Ich hole mein letztes Argument heraus. »Meine Mutter mag das so.«
Ihre Augen weiten sich noch mal. Ich stecke sofort in einer Schublade, aus der mir auch mein Kinnbart nicht mehr heraushelfen wird. Älterer Herr mit Mutter! Und verlangt nach perversen Getränken, in denen der Alkohol verdünnt wird! Ich erkläre ihr weiter, das sei in Deutschland durchaus normal. »Typical in Germany.« Sie schüttelt den Kopf und löst sich nur langsam aus ihrer Starre. Inzwischen stauen sich die Durstigen hinter mir. Aber sie mixt mir ein Alster. Das erste finnische Alster wahrscheinlich, das je in diesem Land ausgeschenkt wurde. Sie stellt mir das Bier auf den Tresen, Abscheu und Verachtung im Blick. Ich zahle Höchstpreise auf dieser Reise, nicht nur finanziell. Ich habe das Gefühl, nun quitt zu sein mit der Mutter, die mich geboren hat. Die Anstrengungen sind sicher vergleichbar.
»Wirklich? So was trinkt man in Deutschland?«, fragt die Frau hinter mir und zeigt leicht angeekelt auf das Glas. »Ich dachte, ihr wärt die wahren Biertrinker?«
Ich zucke mit den Schultern. Ich bin raus. Das wird deutlich.
Ilse aber empfängt mich wie immer mit »Datt hätt over durrt!«. Das hat aber gedauert! Sie greift das Glas und trinkt. Sie ahnt nicht die Kämpfe, die ich für sie ausgetragen habe.
Am Nebentisch lacht jemand laut. Irritiert drehen wir uns um. Er prostet uns zu. »Willkommen in Lahti!«, sagt er. »Ich heiße Mathias.«
Kurzer Bart, Pferdeschwanz, vergnügtes Gesicht. Er stößt mit
Weitere Kostenlose Bücher