Finne dich selbst!
dachte, wenn er so verrückt ist, gleich kommen zu wollen, dann ist er gut für mich. Wir Finnen ziehen überhaupt schnell zusammen. Wenn du weißt, er ist es, kannst du auch gemeinsam wohnen.«
»Wie lange braucht der Finne denn, bis er es weiß?«
»Zwei Wochen sollten reichen.«
Ups! Und das mir, der ich noch nie verheiratet war und erst einmal mit einer meiner Lebensgefährtinnen zusammengelebt, aber Jahrzehnte in Wohngemeinschaften verbracht habe. »Zwei Wochen?«, frage ich ungläubig.
»Nimm einen mit auf eine kleine Reise, zur Probe, und wenn es nicht passt, such dir einen anderen.«
»Man geht hier auch einfacher auseinander«, erklärt mir Axel, »weil die Wohnungen besser ausgestattet sind, funktioneller. Du musst dir nicht jedes Mal eine neue Küche kaufen. Die Küchen sind drin im Mietpreis. Du mietest für mindestens ein Jahr, hast dann aber nur einen Monat Kündigungsfrist. Und es gibt insgesamt eher kleinere Appartements als große Wohnungen.«
Viivi nickt. »Darum gibt es nicht viele Wohngemeinschaften. Außer in Helsinki, in älteren Häusern. Aber sonst sind die Wohnungen gar nicht groß genug.«
Ich erzähle, dass Ilse die Weihnachtskarte gerahmt hat, die Viivi ihr gezeichnet hatte.
»Wirklich?«, fragt Viivi.
Ilse sammelt Engel, seit vielen Jahren. Diese Zeichnung ist ein Engel im Retro-Stil, mit Sixties-Locken.
»Ja, der gefällt mir wirklich. Der ist cool, wie ihr immer so sagt.«
Der passende Weihnachtsmann dazu hätte sicher eine gegelte Tolle, Koteletten statt Vollbart, enge Hosen und spitze schwarze Schuhe.
Viivi zeichnet viel und bewegt sich mit ihren Motiven überwiegend in der Ikonographie der Rock-’n’-Roll- und Psychobilly-Szene, früher auch der Skater. Sie war selber ein »Skater-Girl«, im Sommer auf Rollen, im Winter auf dem Snowboard. Als studierte Modedesignerin näht sie ihre eigenen Kleider und Röcke, druckt T-Shirts und macht grafische Arbeiten. Außerdem steigt sie grade selbst als Tätowiererin ein. Ich hatte einen kurzen SMS -Wechsel mit meinem Bruder vor ein paar Wochen.
»Und was macht ihr am Wochenende?«
»Viivi tätowiert mir heute ein Geisterschiff. Über dem Hai auf dem rechten Oberschenkel.«
Ich war schwer beeindruckt.
»Wieso hast du eigentlich Mode studiert?«, fragt Ilse.
Viivi sagt, sie sei, da die Eltern den Jeans-Laden hatten, schon mit vier auf Modenschauen gewesen. Sie sei damit aufgewachsen. Ilse schweigt. Dann sieht sie Viivi an und beginnt aus ihrer Jugend zu erzählen, und dass sie gerne Schneiderin gelernt hätte.
»Und warum hast du das nicht gemacht?«, fragt Viivi.
»Ich durfte nicht.«
Viivi staunt. »Wieso?«
»So waren die Zeiten damals, nach dem Krieg. Ich als einziges Mädchen musste meinem Vater helfen.« Sie erzählt Vivii vom Milchwagen und dem Laden in der Stadt, und Ilse spricht mit einer melancholischen Mischung aus Trauer und gebremster Wut über ihren unerfüllten Lebenstraum. Dann aber lacht sie. Es habe manchmal auch Spaß gemacht im Laden, weil es eine gewisse Unabhängigkeit bedeutete, den als junges Mädchen alleine zu führen. »Ich musste immer mit dem Fahrrad in die Stadt. Manchmal habe ich da auch übernachtet.«
Hermann erzählt, dass einer von Ilses Verehrern, der auf dem Jahrmarkt arbeitete und weitergezogen war, ihr einmal eine Postkarte geschickt hatte. Als Adresse stand dort nur: »An das schöne Milchmädchen von Minden.«
»Das ist angekommen!«, sagt er.
»Ach, hör auf«, sagt Ilse. »Die alten Geschichten!«
Sie schaut nachdenklich auf Viivi. Nähen und entwerfen, das hätte sie auch gerne gemacht. Wobei, selber gestalten, an so was habe man damals gar nicht gedacht. Viivi nickt, und die beiden Frauen verstehen sich auch ohne gemeinsame Sprache.
Wir sitzen in der finnischen Juli-Sonne. Dann tische ich auf. Es gibt Nudeln mit Kartoffeln, Bohnen, Pesto und Parmesan. Hermann ist der Erste, der fragt: »Is no watt doar?« Ist noch was da? Puh! Prüfung bestanden!
Dann entdecken wir wieder Finnisch-Kulturgeschichtliches. Ilse sagt plötzlich: »Hier ist ja noch ’ne richtige Teppichstange!« Mir war die gar nicht aufgefallen. Viivi erzählt, dass Teppichstangen vor fast allen Häusern stehen, bis heute, oft auch noch bei Neubauten. Hier werden im Winter die Teppiche meist direkt auf den Schnee gelegt und ausgeklopft. Danach lässt man sie noch ein paar Stunden in der Winterkälte hängen, und dann sind sämtliches Teppichgetier und alle Milben tot. Der Finne ist also auch ein
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