Finne dich selbst!
mir?«
»Ich habe von dir sogar spitze Schuhe geschenkt bekommen.«
»Die alten?«
»Jau! Und auf einem Foto hattest du auch so eine Art Tolle. Das habe ich als Vorbild genommen.« Axel präzisiert: »Mit Wellaform Brisc war das eigentlich Mist. Das war wie Bodylotion, nicht fest genug. Pomade war härter, aber schwerer zu bekommen.«
Dann kam seine Rockabilly-Phase, und ich fuhr meinen Bruder zu einem Konzert der legendären Stray Cats aus den USA . Und wurde selber zum Fan. Dann wechselte Axel zum Psychobilly. Das ist Rockabilly mit Punk-Einflüssen, entstanden um 1980 rum. Einigen Fans und Musikern war die Rockabilly-Szene zu streng in ihren Regeln und Outfits, aber natürlich stellten die Psychobillys, wie fast jede Subkultur, gleich wieder eigene Regeln auf. Man trug »Flats«, nach vorn gekämmte Haare, die wie ein Schiffsbug spitz nach oben ragten, an den Seiten raspelkurz. Axel sagt immer: »Einen alten Psychobilly erkennst du daran, dass er keine Haare mehr hat. Die hat er mit zu viel Haarspray ruiniert.« Man trug Baseballjacken oder Mäntel mit Fischgrätenmuster und »Domestos-Jeans«, Hosen, die man sich mit Putzmittel ausbleichte. »Das größte Gesundheitsrisiko war eigentlich, sich seine subkulturellen Klamotten fertig zu machen.«
Wir sehen Fotos von den Bands, in denen Axel spielte, »Johnny remember me« und »The Percolaters«. Dann ein Bandfoto ohne Axel.
»Wer ist das?«
»Kennst du die nicht? Kurze Zeit später waren die sehr berühmt.«
Axel hatte Konzertfotos von den Toten Hosen gemacht, Deutschlands erfolgreichster Punkband, 1984 , im Jugendzentrum Espelkamp. »Da hatten die grad das Album ›Opelgang‹ draußen. Die Vorgruppe hieß ›Ackerbau und Viehzucht‹. Die kamen auch irgendwo aus Ostwestfalen. Ich habe mit den ›Hosen‹ damals ein Interview gemacht für mein Fanzine ›Wahnsinnig aber wahr‹.«
Ein Fanzine ist ein Fan-Magazin, eine unabhängig produzierte, kleine Zeitung, die in manchmal nur einigen hundert Exemplaren, oft auch weniger, in den Fan-Gemeinden gelesen wird. Artikel, Fotos und Graphik wurden damals noch zusammengeklebt und kopiert. Aber mit größter Begeisterung.
»Wie bist du eigentlich überhaupt darauf gekommen, so ’ne Zeitung zu machen?«, fragt Hermann.
»Ich wollte wissen, was in der Szene abgeht. Und dann dachte ich: Wenn es kein Fanzine gibt, muss ich das wohl selber tun.«
Es folgten weitere Fanzines von ihm, »Satanic Hillbilly«, noch heute in Insider-Kreisen als legendäres deutsches Psychobilly-Magazin gewertet, »Something wild« und »Satorial Elegance«. Heute schreibt Axel den Internet-Blog »Satanic Hillbilly ’n’ Sophisticated Boppin’«. Dazu hatte mein Bruder jahrelang ein kleines Independent-Label, »Dschungle Noise«, und hat Platten veröffentlicht, Sampler, LP s, Singles. Sein größter Stolz ist dabei eine echte »Vinyl« im Zeitalter der CD s, eine Single mit der amerikanischen One-Man-Band-Legende Hazil Atkins.
»Ich hab grad gesehen, meine ersten beiden Sampler werden auf Ebay mit 50 Euro und mehr gehandelt. Sogar in Japan.«
»In der Zeit, in der du das alles gemacht hast, mit diesen Platten und Zeitungen, da hättest du auch dein Studium beenden können«, sagt Ilse.
Axel schaut sie gespielt erstaunt an: »Ja, Mensch, Mama. Stimmt. Wenn du mir das nur eher gesagt hättest!«
Sie wendet sich an ihren Mann: »Der veräppelt mich doch jetzt, oder?«
Der sympathischste aller Europäer
Der tägliche Weg zum Hafen in Lahti wird ein regelrechtes Ritual für uns. Auf dem Kai stehen, neben den vertäuten Restaurantschiffen, »Gastronomien«. Bierbuden. Gerade die zweite, weiter vorne auf dem Kai, wirkt wie ein Kiosk, im Ruhrgebiet würde man sagen, eine Trinkhalle. Hier ist das einer der kleinen gastronomischen Höhepunkte im Hafen. Das wird meine »Stammkneipe«. Hier finden mich Eltern, Bruder und Viivi ab jetzt jeden Abend.
Hier genießen wir den Sonnenuntergang. Und der zieht sich! Die Sonne sinkt langsam, ganz langsam immer tiefer und spiegelt sich fürchterlich romantisch im Wasser. Von einer künstlich aufgeschütteten Landzunge dringen die Rufe der Möwen zu uns, die sich langsam für die Nacht sammeln. Hier sitze ich oft, lese oder rede mit Aino, die hier arbeitet und die meine Eltern immer mit einem anfangs fast russisch klingenden »Gutten Taag. Wie gett ees Innen?« begrüßt.
Hier trinke ich
karhu
. Das heißt Bär. Es ist aber auch eine finnische Biermarke. Als ich bei Aino das erste Mal drei Bier auf
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