Finne dich selbst!
war schon mal klar. Aber wie anders? Was fasziniert den Deutschen so am Finnen und an Finnland? Reihenweise schreiben Deutsche, die mit Finninnen verheiratet waren oder sind, Bücher darüber, wie der Finne ist. Als ich davon erzählte, dass wir nach Finnland fahren, zu meinem Bruder, hatte plötzlich fast jeder eine eigene Finnland-Geschichte beizutragen. Mein Arzt reist seit 27 Jahren jährlich auf eine westfinnische Schäre und setzt dort mit Familie und Ruderboot über zu jeweils drei ziemlich einsamen Wochen. Mein Nachbar Uli hatte sogar mal eine finnische Freundin. Auch Bernhard, ein Freund aus Friedewalde, einem Nachbardorf, ist emsiger Finnland-Reisender.
Ich hatte am Nachmittag erst im Reiseführer Finnland von Rasso Knoller geblättert, der über die zweite Auflage von 2001 nicht hinausgekommen ist. Der Autor schreibt darin auf Seite 211 über Lahti: »Die meisten Touristen durchqueren bzw. umfahren die Stadt auf ihrem Weg ins mittelfinnische Seengebiet. Kaum ein Besucher bleibt länger hier … und das ist gut so. Lahti gehört mit Sicherheit zu den weniger attraktiven Plätzen Finnlands. Das Fremdenverkehrsamt hat vielleicht recht, wenn es in einer seiner Broschüren Lahti als die ideale Stadt zum Leben beschreibt – die ideale Stadt für Touristen ist es jedenfalls nicht.« Findet er Lahti in Wahrheit so toll, dass er den Ort mit niemandem teilen möchte? Der Mann tut der Stadt bitter unrecht. Lahti ist sicher nicht das Heidelberg Finnlands, eher ein Dortmund oder ein Hannover. Aber dafür mit dem schönen Vesijärvi-See. Sollen denn alle Menschen nur nach Helsinki reisen oder das pittoreske Porvoo besuchen? Selbst die Innenstadt Lahtis mit ihrem Hauch von Kassel hat ungemein schöne Ecken, man muss sie nur zu entdecken wissen. Augen auf im Verkehr, möchte ich jetzt, mitten in der Nacht, Herrn Knoller zurufen.
»Lahti ist toll!«, schreibe ich an Isabel.
»Warum?«
Ja, warum eigentlich?
Ich laufe um den Pikku Vesijärvi. Meine Gedanken kreisen. Worin liegt die Faszination dieses Landes? Von Italien kennt man das Essen – Spaghetti und Pizza. Deutschland ist voller Pizzerien, und Spaghetti mit Tomatensauce hat bei uns das Sauerkraut längst abgelöst. Typisch finnische Küche dagegen? Fehlanzeige. Wo sind die finnischen Restaurants in Deutschland? Es gibt eines. In Bünde. Wo liegt Bünde? In Ostwestfalen natürlich. Sonst absolute Fehlanzeige!
Jeder trägt ein Bild von Venedigs Kanälen in sich. Aber finnische Stadtansichten? Drei Sprungschanzen und nichts weiter. Finnland hat keine Stadt mit legendärer Skyline, keinen Eiffelturm, kein Manhattan und keine Freiheitsstatue, keine Cliffs of Moher wie Irland. Hier ist nichts spektakulär oder einzigartig. Finnland hat viele Brücken, aber keine einzige Golden Gate Bridge.
Finnland ist trotzdem in aller Munde, bei uns Deutschen beliebt wie kaum ein anderes Land. Und dennoch reisen nur wenige dorthin. Zu kalt, heißt es. Zu viel Regen. Zu viele Mücken. Jeder war schon mal in Spanien, aber über Dänemark kommt der Deutsche kaum hinaus, spätestens in Schweden bremst er. Und doch ist uns der Finne der sympathischste aller Europäer.
Finnland hat keinen Jack London, keinen Karl May und keinen Ernest Hemingway. Dort gibt es keinen Huckleberry Finn oder Tom Sawyer, keinen Old Shatterhand, keinen Spiderman, keinen Fänger im Roggen und keinen Oskar Matzerath. Selbst die kleine Meerjungfrau lebt in Kopenhagen. Finnland hatte einen einzigen Literaturnobelpreisträger, 1939 wurde Frans Eemil Sillanpää ausgezeichnet. Keines seiner Bücher ist zurzeit in Deutschland auf dem Markt.
Finnland hat keinen Elvis Presley, keine Rolling Stones und keine Madonna. Die Leningrad Cowboys sind eine von Regisseur Aki Kaurismäki erfundene Band. Zu mehr als Lordi und HIM hat es nicht gereicht. A-ha kommen aus Norwegen und Abba aus Schweden. In Wien allein rangen Genies wie Salieri und Mozart miteinander, Finnland hat nur Jean Sibelius.
Finnland hat keinen Picasso, keinen van Gogh und keinen Rembrandt. Noch nie kam ein Papst aus Finnland. Es gibt nicht mal eine eigene Automarke. Nokia ist zwar der größte Mobiltelefonhersteller weltweit, aber die Finnen haben das Gerät nicht erfunden. Keine finnische Erfindung hat je die Welt verändert. Finnland hat keine Königin wie England und keinen König wie Norwegen oder Schweden. Hier gibt es keinen Stierkampf wie in Spanien, keine Hunderennen wie in Irland und keine Pferderennen wie in England. Niemand kommt und schaut
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