Finne dich selbst!
zu, wenn die Sami ihre Rentiere fangen und markieren. Oder schließt auch noch Wetten darauf ab. Eigentlich weiß man so gut wie nichts über Finnland, hat aber jede Menge Vorurteile in sich, überraschenderweise ausschließlich positive, und die meisten davon erweisen sich bei Überprüfung sogar als wahr: die Seen und Bäume, die Elche und Mücken. Wobei man Erstere, die Elche, selten sieht und Letztere, die Mücken, weniger oft vorkommen als befürchtet.
Als ich durch den Hausflur schleiche, höre ich Hermann schnarchen. Beruhigt ziehe ich die Decke über mich. Dann antworte ich aber doch noch auf Isabels SMS : »Liebe Isabel, warum es hier toll ist? Man kann das nicht erklären, aber man fühlt es. Als Ostwestfale kommst du hier regelrecht nach Hause. Es würde dir gefallen. Denn letztlich steckt doch in jedem Deutschen ein kleines Stückchen Ostwestfalen.«
Obwohl es mitten in der Nacht ist und wir in Lahti mit der Zeit gegenüber Deutschland eine Stunde voraus sind, kommt augenblicklich eine Antwort: »Klingt absolut verworren, aber ich glaube, ich weiß, was du meinst. Bleib bloß nicht da!«
»Gute Nacht, Isabel.«
»Küss mich!!«
»Digital?«
»Ich vermisse dich!«
»Gute Nacht!«
My heart will go on
Es ist Mittwoch. Heute fahren wir aufs Land. Morgen wollen Axel, Viivi und ich zu einem Rockabilly-Festival, und übermorgen geht es dann ans
mökki
für das Wochenende. Volle Tage. Axel als Reiseführer sitzt vorne, Hermann und Ilse hinten. »De Emmer« ist wieder dabei und steht zwischen ihnen auf der Rückbank. Wir machen einen Stopp am Baumarkt. Axel und ich haben einen Plan. Hermann war die letzten Tage schlecht zu Fuß. Immer wieder musste er sich setzen, ihm schliefen die Füße ein. Eigentlich müsste er sich an der Wirbelsäule operieren lassen, aber die Ärzte raten ab, wegen zu befürchtender Herzkomplikationen.
»Warum halten wir hier?«, fragt Ilse.
»Wir müssen was besorgen.«
Wir streifen durch den Baumarkt, der hier viel mehr ist als ein Baumarkt. Hier gibt es Haushaltswaren, Gartengeräte, alles für die Pflanzenpflege, jede Menge Anglerbedarf – und Sportartikel. Die sind unser Ziel. Wir kaufen für Hermann und Ilse Nordic-Walking-Stöcke und außerdem zwei zusammenfaltbare Campingstühle. Damit sind wir gerüstet für den Tag. Als Chefkoch habe ich Schnitten geschmiert und zwei Thermoskannen gefüllt. Mit anderen Worten, »de Korff« ist auch dabei. Zurück am Auto, packen wir Stöcke und Stühle in den Kofferraum.
»Was war denn?«, fragen unsere Eltern.
»Nichts«, sage ich.
»Dann möchte ich wissen, warum wir hier halten mussten?«
»Später«, sagt Axel.
Unser Ziel heute ist Orimattila. Am Vesijärvi kurven wir entlang nach Messilä. Axel dirigiert uns in Seitenstraßen. Sehr feldwegig, das alles. Hier sehen allerdings die Hauptstraßen oft schon aus wie Seitenstraßen. Dann halten wir.
»Und nu?«, fragt Hermann.
»Wanderung«, sagt Axel.
»Aber nicht so weit, meine Füße.«
Nun schlägt unsere Stunde. »Hier Hermann, unser Geschenk.« Wir übereichen ihm die Nordic-Walking-Stöcke.
»Der reine Unsinn!«
Ilse schaut von der Seite: »Probier doch eis.«
Widerwillig steckt er die Hände durch die Schlaufen, setzt vorsichtig die Spitzen auf den Boden.
»Jetzt nur noch losgehen«, sagt Axel grinsend.
»Spinnerei!«, sagt Hermann.
Ilse schüttelt den Kopf. Hermann übt sich in Coolness, wir uns im Nichtbeachten. Und siehe da, er kommt in Tritt. Nach den ersten 100 Metern schon wirkt er irgendwie etwas gerader.
»Könnst jo up einmohl grode goahn«, kommentiert Ilse.
»Na bitte. Geht doch«, sage ich.
Axel führt uns durch den Wald, vorbei an riesigen Blaubeerfeldern. Ein kleiner Schauer kommt runter. Kein Problem für wasserfeste Ostwestfalen. Wir zucken nicht mal nach dem Schirm. Dafür zucken wir zusammen unter dem darauffolgenden kleinen Mückenangriff. Aus dem feucht-warmen Unterholz steigen sie zu Hunderten auf.
Axel dirigiert uns zu einem kleinen Teich, in dem sich Wolken und die umliegenden steil aufsteigenden Felsen spiegeln. »Teufelsnest«, erklärt er uns, »wird dieser Platz von den Finnen genannt.«
Das Schwarzgrau der Steine, das grüne Moos, das sich über den Boden ergießt, das Braun der Rinden, hellgrüne junge Triebe und alte, abgestorbene Äste geben ein Bild wie von Impressionisten gemalt. Ich klettere in der Felswand herum und fühle mich dreizehnjährig. Axel fotografiert, und wir riskieren am Ende ein Selbstauslöserfoto mit der
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