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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Gieseking
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dieser stilsicheren Welt des Rock ’n’ Roll. Das sieht hier einfach gut aus.
    Das Essen braucht noch eine Viertelstunde. Wir sitzen und reden. Dann eine Überraschung. Axel überreicht uns eine Lahti-Broschüre. Auf Deutsch! Aus dem vorigen Jahr. Wir selbst revanchieren uns mit dem Notfallpaket für unseren finnischen Ostwestfalen. Es enthält vor allem jede Menge Löwensenf, und zwar »extra scharf«. Hier in Finnland gibt es zwar Senf in tausend Sorten, und zu Weihnachten und zu Ostern ist es sehr beliebt in den Familien, selber
sinappi
zu machen, man erfindet sogar eigene Geschmacksrichtungen, aber trotz dieses regelrechten Senfreichtums kommt Akseli vom heimischen Stoff nicht los. Vor kurzem hatte ich in Köln den »Löwensenf Senfladen« entdeckt. Ungeahnte Sorten und Mischungen! Das weiß Axel noch gar nicht. Das wird eine Überraschung.
    Außerdem, wie in jedem Notpaket unabdingbar dabei: Maggi! Unsere Mutter ist eine phantastische Köchin, aber sie hat ihre Familie mit Maggi angefüttert, und die darin enthaltenen Suchtmittel haben voll eingeschlagen. Zu jeder noch so leckeren Suppe kommt Maggi auf den Tisch. Und Ilse nimmt selber. Reichlich. Fondor stand ebenfalls lange auf Axels Wunschzettel. Zwischenzeitlich schickte Ilse in jedem (!!) Paket eine große Packung Fondor nach Finnland. Ihrer inneren Logik nach kann die Fondor-Packung aus Pappe nicht zersplittern wie das Glas der Maggie-Flasche und darf also ohne Risiko verschickt werden. Inzwischen steht auf Axels Wunschzettel ganz oben: »Kein Fondor mehr! Habe noch drei Großpackungen!«
    Auf keinen Fall fehlen darf Haribo. Haribo Goldbären, denn auch die gibt es in Finnland nicht. Welch Drama für all diese bärenlosen Finnen-Generationen. Ich wurde als Kind angefixt und bin bis heute davon nicht losgekommen, und Axel geht es genauso. Wenn man Goldbären intravenös zu sich nehmen könnte, wir hingen an der Nadel. Bei Axel kommen noch Cola-Fläschchen dazu. Auch die fehlen im finnischen Süßwarenangebot. Mich erreichten im Frühjahr zwei SMS meines Bruders, die sich in ihrer inneren Dramatik noch steigerten. Erst schrieb er mir: »Mail dann mal, wann ihr kommt. Mir geht der Senf aus!« Ich schickte ihm ungehend Löwensenf und Haribo. Nachdem das »kleine« Notpaket angekommen war, schrieb er: »Katastrophe! Hab grad Gummibären aufgemacht … Nur ein gelber!!!« Ich habe sofort ein neues Notpaket geschickt und aus einem kompletten Supermarktangebot die drei Tüten mit den meisten gelben herausgesucht!
    Aber kein Paket an Axel wird verschickt ohne Mirácoli. Kraft vertreibt dieses Produkt nicht in Finnland. Der Norden lebt ohne. Aber wie? Also kommt es immer wieder zu Engpässen in Lahti. Wir senden dann auch schon mal per Express. Unsere beiden Finnen lieben dieses »italienische« Meisterwerk. Weihnachten haben sie ein besonderes Ritual. Sie fahren Heiligabend mit dem Bus zum
mökki
, laufen von der Haltestelle fünf Kilometer über die verschneiten Wege durch den Wald, Viivi entzündet das Feuer und heizt die Sauna an, und Axel kocht die große Familienpackung Mirácoli.
    Begeistert packt Axel sein Paket aus: Senf, Mirácoli, Maggi, Haribo und Chips.
    Viivi lacht ihm zu: »Glücklich?«
    »Klar!«
    Dann essen wir Salat und finnischen Auflauf. Sehr lecker. Danach Eis mit Blaubeeren. Wir loben Viivi für das Essen und bedauern Bela Lugosi und alle Draculas, die nur Blut trinken dürfen und nicht eine einzige Blaubeere bekommen. »Und niemals Haribo«, ergänzt Axel. »Das ist doch kein Leben!«
     
    Axel und Viivi räumen ab. Wir dürfen nicht helfen. Dann holt Axel sein Fotoalbum heraus, und wir blättern durch seine Jugenderinnerungen. Fotos von ihm, aufgenommen im Ted’s-Club Schaumburg. Axel in einer Jacke aus Leopardenfellimitat und mit beeindruckender Föhnfrisur neben Hermann und Ilse und einem vollbärtigen Bernd. Die Silberhochzeit unserer Eltern. Wo ich »nur« langhaarig und vollbärtig, also »Hippie« war in den Augen der Ostwestfalen, da war mein Bruder immer Mitglied irgendwelcher Subkulturen. Als Vierzehnjähriger schon war er Teddy Boy und musste allein wegen seiner Tolle im Dorf, in der Stadt und täglich in der Schule diverse Diskriminierungen durchleiden inklusive einer gebrochenen Nase. Er war auf der Hauptschule der einzige Ted weit und breit. Axel trug damals eine echte Elvis-Tolle, die er mit viel Mühe und Pomade oder Haarspray in Form legte. »Meine erste Tolle habe ich nach einem alten Foto von Hermann gemacht!«
    »Von

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