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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Gieseking
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eine Reifenfirma. Er sei damals auch häufig im Starclub gewesen. Sogar die Beatles habe er dort gesehen. Woher wir kämen?
    »Aus Minden.«
    »Da bin ich auch schon mal gewesen.«
    »Kann nicht sein!«
    »Doch, wirklich.«
    Ungläubig starren wir ihn an.
    Er lacht und sucht nach Worten. »Da ist ein Kanal. Er geht über eine Brücke über einen Fluss.«
    Wir sind perplex über diese exakte Beschreibung. Jemand, der unsere Heimat kennt, nebst Schachtschleuse und Mittellandkanal, der über die Weser führt! »
Kanaali
«, sagt er. Klar, wenn der Finne einfinnischt, dann setzt er ein »i« hinten dran! Johanni war 20  Jahre lang Taxifahrer und steuert nun seit 20  Jahren den Bus.
    Mittlerweile fahren wir. Johanni dreht sich zu uns um: »Ihr habt nur Polka in Deutschland, oder?«
    »Von wegen«, sagt Hermann, »Foxtrott, Samba, Rumba, Tango, Walzer …«
    »Tango ist bei uns ganz groß«, schwärmt Johanni. Jetzt sei Sommer, sein Bus sei sonst viel voller.
    An den Haltestellen steigen immer wieder Menschen zu. Überwiegend Frauen sind auf dem Weg zum
tanssi
. Bis zum Ziel der Reise befinden sich außer uns sieben Frauen und zwei Herren an Bord. Bei den Herren senke ich das Durchschnittsalter erheblich. Bei den Damen erkenne ich jede Menge Leggins und Turnschuhe, dazu trägt jede lässig eine Tasche geschultert. Ich bin irritiert. Turnschuhe zum Tanzen? Bis ich eine halbe Stunde später die gleichen Damen sehe, jetzt in Röcken und Tanzschuhen. Frauen und die Geheimnisse ihrer Umhängetaschen! Ich selber sehe aus wie frisch vom Motorrad gestiegen.
    »So wutt du dor hän goan?« So willst du da hingehen, hatte Ilse vor Abfahrt kritisch angemerkt.
    Ich habe aber nur Jeans, Motorradstiefel und T-Shirts dabei. »Soll ich in Clogs tanzen gehen?«, frage ich meine Mutter.
    »Nee, aber die Stiefel hättest du ruhig mal saubermachen können.«
    Ich schaue nach unten. »Jau. Stimmt!« Da sitzt noch der Staub vom Rockabilly-Festival. Aber wer nimmt schon Stiefelputzzeug mit auf die Reise?
    »Mit dir kann man genauso wenig losgehen wie mit deinem Vater!«
    Plötzlich biegt Johanni irgendwann inmitten der Kiefern und grünen Hügel nach links auf einen riesigen Parkplatz ab. Der erstreckt sich krakig und weiträumig zwischen den Bäumen. Hunderte Autos stehen bereits da, ein paar Wohnmobile. Dazwischen lugt grün ein Gebäude hervor: das Jenkkapirtti. Auf den Plakaten sind die Bands für heute und die kommenden Tanzveranstaltungen des Monats angekündigt: Viivitaivas, Eija Kantola und Anneli Mattila & VIP .
    Nun erleben wir die Finnen in ihrem Element. Sie strömen aus allen Himmelsrichtungen herbei. Der Parkplatz läuft bald über. Und drin wird getanzt. Zwei Live-Bands wechseln sich ab. Es gibt keine Tanzpausen, nicht das berühmte ostwestfälische Zwischenspiel der Kapelle: »Der schönste Platz ist immer an der Theke« – das war für die Männer immer der Moment, ein Bier zu trinken, und für die Frauen, »Schluck« zu schütten, also einen Korn, der ihnen aber nicht schmeckte, weshalb sie mit Florida-Boy nachspülten und damit das Schnapsglas noch einmal vollgossen. Eine Flasche Florida-Boy hielt fünf Schnäpse lang. Damals hießen Bands noch Kapellen, und Rock ’n’ Roll war Hottentottenmusik, und ein Bett im Kornfeld war immer frei. Hier in Finnland wird durchgetanzt. Die Bands spielen jeweils eine Stunde, dann wird abgewechselt. Stargast heute ist Anneli Mattila, die von einigen belagert wird wie ein Schlagerstar. Und – sie ist ein Schlagerstar, wie wir am nächsten Tag von Viivi und Axel erfahren. »Süste, wenn ütt so berühmt is, denn was datt gor nich so dürr«, wird Ilse den Ausflug im Nachhinein rechtfertigen, wenn die so berühmt ist, dann war das gar nicht so teuer!
    Und jedes Mal gibt es diese Verwandlung bei den Damen: Wer den Saal noch mit Flip-Flops betrat, dreht sich wenig später hochbehackt auf dem Parkettboden. Die meisten tanzen wirklich ununterbrochen. Normalerweise wechselt man die Partner nach jedem Tanz. Es gibt allerdings deutlich mehr Frauen als Männer. Ich gehe nach oben auf die Galerie und schaue zu, wie die Tanzpartnerinnen zurückgeführt werden, wie alle, die keinen Tanzpartner haben, darauf warten, nun in der nächsten Runde dabei zu sein. Manche Männer schwitzen gewaltig. Ich gehe zur Toilette und sehe Dinge, die ich noch nie gesehen habe: Vor dem Herrenklo hängt ein Föhn. Davor! Hier trocknen sich die durchgeschwitzten Herren die Haare und den Rücken. Ein seltsamer Anblick

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