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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Gieseking
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mit Ilse. Die Band wechselt. Die Schilder auch. Nun leuchtet
miesten haku
. Der Star des Abends tritt auf. Einige Herren belagern die Bühne wie beim Stones-Konzert. Anneli ist charmant. Die Moderationen werden kurz gehalten, dem Finnen geht es um die Musik.
    Der Abend schreitet fort. Aber langsam. Die Lichter flackern.
Miesten Haku
erlischt.
Naisten Haku
leuchtet. Damenwahl. Schon wieder? Ich müsste zur Toilette. Das ist jetzt doppelt schlecht. Die Toiletten sind unten, und unten wird getanzt. Dazu dieses ameisenhaufenartige Durcheinander. Ich gehöre hier nicht hin. Ich bin kein Tänzer, und ich bin kein Finne. Ich greife an meine Stirn. Schweiß. Angst. Damenwahl. Die Familie bietet hoffentlich Schutz. Bei den Moschusochsen stellt sich auch die Herde im Kreis gegen die Feinde und nimmt das Jungtier schützend in die Mitte. Na ja, Jungtier. Und die Angreifer sind lediglich tanzbegeisterte Finninnen, aber ich bin auf so was einfach nicht vorbereitet als Ostwestfale. Außerdem drückt meine Blase immer noch. Eilig schreite ich zur Toilette. Ich gehe so schnell, dass niemand mich aufzuhalten wagt.
    Was dann kommt, schreibe ich nicht gerne: Ich übe Tanzschritte in der WC -Kabine! Wirklich wahr. Ich habe eine sehr gute Freundin, Gerlis, die ist eine meisterhafte Tänzerin, sie tanzt Salsa. Warum habe ich nicht wenigstens eine halbe Stunde mit ihr trainiert? So unvorbereitet in tanzwütiges Ausland zu fahren! Ich schleiche zurück. Am Tisch sitzt – niemand! Ich bin eine Waise. Eine Tanz-Waise. Die Band spielt Tango. Meine Eltern tanzen. Ich starre in das Meer der Füße. Ich beobachte die Beinarbeit. Der Finne schiebt seine Partnerin hauptsächlich mit dem und über den rechten Oberschenkel. Wo bleibt da die angebliche Melancholie des Tango? Dann sehe ich Quentin. Und seine Partnerin sieht aus wie – Tante Hildegard! Ich bin sprachlos! Tanzt Tante Hildegard in Finnland? Obwohl, Hildegard trug noch nie rückenfreie Kleider. Ich sehe auf. Eine Frau lächelt mich an. Ich denke. Ich denke unendlich viel und schnell. Ich könnte Mathematik studieren in solchen Momenten. Ich denke, dass mich hier keiner kennt und niemand weiß, dass ich ein nervöser deutscher Nichttänzer bin. Die Frau kann mich immer noch für einen stieseligen Finnen halten. Oder? Ich suche nach Worten in einer fremden Sprache.
Terve
. Ich spreche, aber nur zu mir selbst: »I would like to dance with you.« Aber was soll ich dann mit ihr machen? Hier gibt es keinen Freistil, kein Nebeneinander, Voreinander ohne anfassen. Also vom rechten Bein aufs linke und zurück. Hier gibt es nur Paartanz und jetzt auch noch Boogie-Woogie. Der wechselt mit Rumba, mit Walzer und Tango. Ich kann nur noch Freistil zu Rockmusik mit Stromgitarre. Für mehr reicht das Selbstvertrauen nicht. Die mich angelächelt hat, tanzt jetzt mit Quentin, der sich bewegt wie ein kanadischer Holzfäller. Humpa heißt der Tanz. Irgendwas stimmt zwischen den beiden. Da stimmt doch was nicht! Sie wechseln auch die nächsten zwei Tänze nicht mehr den Partner. Mist!
    Meine Eltern kommen wieder von einem eleganten Tango zurück. »Und?« Hermann ist gnadenlos.
    »Eher nicht«, quäle ich hervor. Ich probiere mich mit den nächsten Bieren bis zur Tanzfähigkeit zu dopen. Weiter schwierig. Ich wechsele meine Taktik und versuche mich als Ethnologe zu definieren, der hier einer fremden Völkerschaft begegnet und in »teilnehmender Beobachtung« nach Erkenntnissen sucht. Nach Charakteristika.
    Quentin bewegt jetzt die Beine, als würde er schuhplatteln, hat dabei aber schon wieder eine andere Partnerin im Arm. Er tanzt eindeutig mit den schönsten Frauen des Abends. Oder
ist
er am Ende Quentin Tarantino? Ich glaube, das Bier wirkt. Wieder Toilette. Die Männer greifen nach Servietten und Klopapier, um die Schweißströme einzudämmen. Tupfer wären hier zu wenig. Der Föhnmann föhnt sich wieder Haare und Rücken. Es ist Donnerstag. Sehr gut! Samstag wäre der Bus eine Stunde später gefahren. Noch eine Stunde in diesem Land voller Minen. Ich tanze mit Ilse. Das zählt nicht. Ich weiß. Ich bringe sie zurück zu Hermann. Da, ich erkenne das Lied, ein Song von Elvis. Ja, jetzt, jetzt hätte ich Mut. Das richtige Lied läuft.
Naisten Haku
. Damenwahl. Pech. Da brauche ich gar nicht erst loszugehen. Beim nächsten
miesten haku
halte ich es kaum noch aus. Ich stürze zur Toilette. Der Weg ist frei, keine weiblichen Hinterhalte sind möglich. Der Föhnmann ist auch wieder da. Er föhnt jetzt auch

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