Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Eilenberger
Vom Netzwerk:
gehöre ich zu jener Sorte eifriger Enthusiasten, die für jeden gefangenen Räuber im Schnitt zwei kostbare Köder in den stark verkrauteten Randlagen der nördlichen Seen verlieren. Meine Köder zappeln nur selten wirklich aussichtsreich im Wasser. Der Großteil der Angelzeit vergeht mit dem Knüpfen komplexer Knotenstrukturen, die unter meiner doppelten Linkshändigkeit nicht selten zu vielschichtig verknorpelten Gespenstern geraten, klobig genug, noch trübste Fischaugen argwöhnisch zu stimmen. Eine weitere, allzu gängige Komplikation stellen Verhedderungen an der Spule dar, die nach langem, melancholischem Entwirrungskampf letztlich doch einen Schnitt mit dem Fiskars-Messer erfordern, was den Verlust mehrerer Meter NASA-geprüften Schnurmaterials bedeutet. Der mühsame Prozess des Aufziehens, er beginnt damit von Neuem.

    Beim nächsten Wurf aber, ja, da wird alles anders. Denn so viel stimmt gewiss: Wer angelt, weiß, was Hoffnung ist. Bleibt getrieben von dem erregendem Schub, wenn nach vergeblichen Stunden eine widrige Vibration die Kuppen der kalten Finger erfasst, sich in seltenen Glücksmomenten gar die volle Wucht des ersten Bisses direkt ins eigene Mark überträgt, die Leine schneidend spannt und die Tiefe, mit der sich die Titanrute unter dem Zug der Kreatur geschmeidig zu Wasser biegt, eine erste, in der Regel überzogene Ahnung von Größe und Gewicht des Fanges ermöglicht.
    Nur nicht zu viel Druck erzeugen, den Räuber aber auch nicht ziehen lassen ins flache Dickicht der Seerosen, Spannung halten, breitbeinig den ersten Sprung empfangen, keine falsche Hast jetzt, auch kein ängstliches Zögern. Oft schon sind sie im letzten Augenblick noch sich windend entglitten.
     
    Wie schmählich weit meine Bemühungen aber in Wahrheit hinter einheimischem Standard zurückbleiben, führten mir Raimo und sein langjähriger Geschäftskollege, der sogenannte Urponen, im Zuge einer Angeltour vor Augen, auf die sie mich - ob aus ehrlicher Sympathie oder subtilem Sadismus, andere mögen es beurteilen - im vierten Jahr meiner finnischen Existenz herzlich einluden.
    Angeln, so erkannte ich damals, geht ein Finne nicht für mehrere Stunden, sondern für mehrere Tage, und nicht in einem Ruderboot, sondern einer Motorjacht mit Regenschutz und enger Schlafkoje. Urponen hatte sein
Helmi (Perle) genanntes Schmuckstück eigens aus Lahti über den See bis an den Steg des Mökki gefahren. Der Druck, mit dem sein Kawasaki-Motor das faulende Laub vom Seegrund an die Oberfläche trieb, wird mir immer unvergesslich bleiben.
    Es regnete in diesen Tagen nur schwach, sodass wir die kurzen Nächte, nach Manier der Alten, auf den Seeinseln in offenen Holzunterständen, laavu , verbrachten. Der Proviant bestand aus zwei Kühltruhen Dosenbier, einer Ladung Wodka, der hier in Finnland, deutschem Mineralwasser gleich, in tragbaren 12er-Kästen angeboten wird, sowie einigen mit grober Fleischwurst belegten Roggenschnitten, sämpylät . Darüber hinaus hielt die goldene Regel: We eat what we kill.
    Verdammt. Und was die da alles rausholten! Barsche von unglaublicher Form und Größe, Hechte, mächtig wie Nilkrokodile, sogenannte särkiä , deren grätenreiche Existenz mir bis dato vollständig entgangen war. Wie beim Brezelbacken ging das, rein und raus, ich kam mit dem Putzen kaum nach. Zur Feier eines jeden Fangs dann ein Herrengedeck am nächtlichen Lagerfeuer.
    Für Gespräche bleibt da kaum Raum.
    Wie in einem Computerspiel zeigte Raimos Wunderecholot genaue Lage und Größe in Wurfweite befindlicher Räuber. Doch wie alle Technik, so erzeugt auch diese ihr eigenes Unbehagen. Jedenfalls kenne ich keine psychisch aufreibendere Erfahrung, als eine fünf Kilo schwere Forellenschönheit in vier Metern Tiefe exakt dort zu wissen, wohin man seinen Köder ausgeworfen hat - allein, das Biest will nicht, bewegt sich nicht einmal,
ziert sich, macht die Sissi. Dabei ist sie doch da, da, ich kann es genau sehen, stimmt doch, Raimo, Urponen, stimmt doch, sagt doch etwas, sprecht mit mir, was mache ich denn bloß falsch?
    » Paska! « (Scheiße!), rief ich da aus, um meines Druckes Herr zu werden, und noch andere schimpfliche Worte mehr, die, vom steifen Nordwind getragen, mehrere Kilometer über den See schallten, sodass die finnischen Mütter am anderen Ufer, wie ich mir vorstellte, ihren verängstigten Kindern die Ohren zuhielten.
    Fürchte dich nicht, Kleines, ist nur der Deutsche von der Paiviö-Hütte, du weißt schon, der ohne

Weitere Kostenlose Bücher