Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Gästen das Kloster. Und jedes Jahr wieder sahen wir Bruder Alexei mit orthodoxem Backenflaum, für einen Bart wollte es nicht reichen, am Informationsschalter in der Empfangshalle sitzen, fröhlich wippend, als lausche er seiner ganz eigenen Glücksmelodie. An seiner schwarzen Stoffkutte war ein glänzendes Metallschild angebracht, das ihn des Deutschen, Englischen, Französischen und, ich habe es über die Jahre genau verfolgt, bald auch des Schwedischen, Russischen und Finnischen mächtig auswies. Pünktlich um elf Uhr mittwochs, wir kamen immer mittwochs, schritt er zum Springbrunnen inmitten des quadratischen Vorhofes und bat eine aus alternden Oberstudienratspärchen bestehende Gruppe zur deutschsprachigen Führung.
Er berichtete von der Gefährdung des russischen Mutterklosters zu Zeiten des Winterkrieges, die eine Neugründung auf finnischem Boden erzwungen hatte, legte in knappen Zügen die Geschichte der finnisch-orthodoxen Kirche aus, wies auf die wundersame Fähigkeit der Ikonen hin, dem Betrachter immer direkt in die Augen zu blicken, ganz gleich von welcher Seite er sich nähere. Er erwähnte den Orden zum heiligen finnischen Gotteslamm, um schließlich, am Klosterfriedhof angelangt,
von Pentti Saarikoski, dem großen Dichterrebellen Finnlands, zu erzählen, der in den frühen Achtzigerjahren, von seiner Alkoholsucht getrieben, immer wieder im Kloster Zuflucht suchte und den die Mönche trotz zahlloser, tabubrechender Eskapaden einem heiligen Narren gleich in ihrer Mitte geduldet hatten. Dort, ganz nah an der Mauer mit Blick auf den See, liege er begraben.
Wir sprachen kein gemeinsames Wort, nickten uns nur lächelnd zu. Und doch war mir Alexei über die Jahre zu einem Vertrauten und Gewährsmann geworden. Ein Halt in der Ferne. Als wir uns im Juli vergangenen Jahres aber mit Boris und Anita erneut nach Valamo begaben, fanden wir den Informationsschalter von einem alten Mütterchen mit keuscher Tracht und Kopftuch besetzt. Es lächelte uns mit goldenen Zähnen an. Von Alexei keine Spur.
Es war schwer, Genaueres in Erfahrung zu bringen. Auf der Damentoilette traf meine Frau eine Küchengehilfin, die Nichte einer ehemaligen Mannschaftskameradin, und erfuhr, dass der saksalainen munkki Orden und Kloster im Frühling verlassen hatte. Der dreizehnte finnische Winter war sein letzter gewesen.
Aber weshalb hätte ich Miriam von seinem Schicksal erzählen sollen und mit welchem Hintersinn? Womöglich diesem: Wenn du es selbst mit Gott im Herzen nicht vermagst, in Finnland zu bestehen, solltest du es mit einem schlecht erzogenen Rüden besser gar nicht erst versuchen. Doch ich schwieg.
Es geht nicht. Ich kann nicht einschlafen, muss raus, raus an die Luft, ans Licht.
MEINE ERSTE REGENBOGENFORELLE
D er Morgensee in rätselhafter Schönheit und Stille, wie auf den Postkarten, die Tante Vera uns früher aus dem Urlaub schickte. Nur drüben bei der Reuse am Schilf lässt ein leichtes Zittern etwas von den Schicksalen erahnen, die sich zu jeder Stunde unter der glatten Oberfläche des Gewässers zutragen. Jetzt wäre die Zeit. Jetzt würden sie beißen. Ich müsste nur die Rute greifen, ins Boot steigen und die Tauhaken lösen, Wochen könnte ich seelenruhig in eine Richtung gleiten, bis nach Petersburg, oder gen Süden, heimwärts, zur Ostsee hin.
In den ersten Jahren konnte ich es ja kaum erwarten. Gleich nach unserer Ankunft streifte ich das Regencape über, griff mir den Spaten zur Regenwurmsuche in der weichen Erde hinter dem Plumpsklo, puucee , und stürmte mit der Holzrute, onki, hinunter zum Steg, um mich aber schon recht bald ganz auf das wesentlich anspruchsvollere, wenn auch nicht zwangsläufig ertragreichere Fischen mit Kunstködern zu konzentrieren - Raubfischjagd also, Barsch, ahven , Hecht, hauki und Regenbogenforelle, kirjolohi .
Theoretisch - Mummi vergisst keinen Sommer, mich daran zu erinnern - benötigt man für das Angeln mit der virveli, Rollangel , in Finnland eine jährlich zu erneuernde Erlaubnis, die für fünfundzwanzig Euro im Gemeindehaus, kunnantalo, erworben werden kann. Praktisch gesehen, bedürfte es zur wirksamen Kontrolle der hundertneunzigtausend angeltauglichen Seen des Landes allerdings eines Überwachungsapparates Stasiähnlicher Ausmaße, in dem jede Familie jede andere permanent überwacht und bespitzelt.
Über meine Erfolge in diesem für das Rollenverständnis des finnischen Mannes zentralen Bereich will ich wahrhaft sprechen. Mehr Liebhaber als Kenner,
Weitere Kostenlose Bücher