Finnischer Tango - Roman
Art sich zu kleiden, die Esskultur und das Brauchtum sind eigenständig und nicht bei den Vereinigten Staaten ausgeliehen.« Adil schien seine Vorlesung zu genießen. »Unsere traditionelle Lebensweise ist vielfältig und bietet Sicherheit, aber auch bei uns wird sich alles ändern, falls die westliche Kultur mit Gewalt die ganze Welt erobert. Und das darf nicht geschehen.«
Ratamo biss sich auf die Lippen. »Also, ich stehe nicht gerade an vorderster Front bei der Unterdrückung anderer Kulturen.«
»Wollten Sie noch etwas anderes?«, erkundigte sich Adil, stand auf und schnappte sich den Rest der gerösteten Erdnüsse, während er auf Ratamos Antwort wartete. »In dem Falle wünsche ich Ihnen weiterhin das Bestmögliche.«
Das Bestmögliche … Das bedeutet so viel wie Sinnbild … Ratamo wiederholte die Spitzen al-Moteiris, der die Bar verlassen hatte. So ein überheblicher Affe! Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm irgendwann jemand bei einem Gespräch die Fäden so leicht und unbemerkt aus der Hand genommen hatte. Eilig zog er sich die Jacke an, jetzt musste er schnell nach Hause zum Mittagessen, Jussi Ketonen hatte ihm Neuigkeiten über Eevas Nachbar versprochen, über Veikko Saari.
Jussi Ketonen aß am Bauerntisch in Ratamos Küche die in Ketchup und Senf schwimmenden Reste eines Bauernfrühstücks und blätterte dabei ungeduldig in der neuesten Nummer des »New Scientist«. Ratamo verspätete sich wieder einmal.
Die Seiten über die Militärtechnologie las er genauer als alle anderen, dort fanden sich eindeutig die amüsantesten neuen Erfindungen der Menschheit. Wie zum Beispiel das hier, dachte Ketonen, als er einen Artikel über einen Kampfanzug für Infanteristen entdeckte, der von der MIT-Universität für die US-Army entwickelt worden war.
»Ein Fußgänger läuft mit einem scheinbar ganz gewöhnlichen Anzug die Straße entlang, plötzlich fallen Schüsse – jemand schießt auf ihn. Wenn die Kugeln auf den weichen Stoff des Anzugs treffen, erkennt der die Geschosse, wird hart, hält die Kugeln auf und wird danach wieder weich. Die Kugeln fallen auf die Straße wie Eicheln. Anders als die derzeitigen kugelsicheren Westen und Schutzausrüstungen kann dieser Stoff, der die Nanotechnologie der Zukunft nutzt, endlos viele Kugeln aufhalten.« Ketonen lachte schallend und las weiter.
»In der MIT-Universität glaubt man auch, in den kommenden Jahrzehnten einen Kampfanzug entwickeln zu können, in den Nanomuskeln eingebaut werden: Fasern, die im Grunde die Funktion der menschlichen Muskeln nachahmen und dem Soldaten bis zu dreißig Prozent mehr Kraft verleihen. Der untere Teil der Uniform von der Taille bis zu den Fußsohlen wird robotisiert: Kolben dienen als Unterstützung der unteren Extremitäten, wodurch der Soldat bis zu dreimal schwerere Lasten als normalerweise heben und tragen kann. Auch die Bewaffnung des Soldaten wird am Kampfanzug befestigt.« Ketonen malte sich aus, wie so ein mit motorisierten Beinen hüpfender Soldat aussehen würde und lachte herzlich.
»Allein vor sich hin lachen, das ist ein bedenkliches Symptom«, rief Ratamo an der Küchentür und jagte damit Ketonen, der gerade seine Hosenträger dehnte, einen Schrecken ein.
»Ich habe gar nicht gehört, dass du gekommen bist. ImAlter kann man eben vieles nur noch schlecht, zum Beispiel gut hören. So sieht es aus«, sagte Ketonen und hob einen Stapel Unterlagen vom Stuhl auf den Tisch.
»In der Ratakatu ist die Lage beschissen. Über Palosuo und Liimatta sind wilde Gerüchte im Umlauf, und Wrede hat Blut gerochen.«
»Was für Gerüchte?«, fragte Ketonen voller Interesse.
Ratamo seufzte und setzte sich an den Küchentisch. »Nun fang du nicht auch noch an. Irgendwie soll es um die Weitergabe von geheimen Informationen gehen, aber das ist nicht mein Bier.«
»Interessant«, murmelte Ketonen. »Zu meiner Zeit hat man sich jedenfalls auf die Arbeit konzentriert und nicht auf Klatsch und Tratsch. Es zieht mich zwar nichts dorthin zurück, aber die Atmosphäre in der Ratakatu, die war wirklich …«
»Sind Nelli und Marketta noch im Konzert?« Ratamo ärgerte es, dass er auch diesen Feiertag nicht mit seiner Tochter verbringen konnte.
»Die kommen sicher gleich. Wollen wir nicht vorher ein wenig über Veikko Saari sprechen? Marketta mag es nicht, wenn ich über die Arbeit rede. Also über meine ehemalige Arbeit.« Ketonen klappte sein Notizbuch auf, ohne Ratamos Antwort abzuwarten. »Wie gesagt, kenne ich Veikko Saari und
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