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Finnischer Tango - Roman

Finnischer Tango - Roman

Titel: Finnischer Tango - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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erst Dezember. Er schaffte es einfach nicht, sich neben der Arbeit um seine Schlaflosigkeit und die anderen Privatangelegenheiten zu kümmern. Aber Urlaub durfte man nur zu einer bestimmten Zeit und für eine genau festgelegte Zeit nehmen, es kam ihm so vor, als würde er von seinem eigenen Leben ein Gnadenbrot erwarten. Vielleicht konnte er in Nellis Winterferien ein paar Tage frei machen.
    »Arto Ratamo?«, fragte jemand. Ratamo drehte sich um und sah einen relativ kleinen, schlanken Araber, der irgendwie an eine Werbung für Herrenbekleidung erinnerte. Die beiden Männer machten sich miteinander bekannt, gabensich die Hand und nahmen Platz. Ratamo staunte, wie gut sich al-Moteiri während seines Aufenthalts in Finnland die Intonation der finnischen Sprache angeeignet hatte; er sprach Ratamos Namen ohne den geringsten fremden Akzent aus.
    »Sie können sich vorstellen, dass ich überrascht war, als mich die geheimnisvolle Sicherheitspolizei anrief. Worum geht es?«, fragte Adil auf Englisch und winkte den Kellner heran.
    Ratamo lächelte al-Moteiri an wie ein Zahnarzt seinen Patienten. »Ich habe nur ein paar Routinefragen im Zusammenhang mit Eeva Hallamaa. Sie waren doch mit ihr zusammen …«, Ratamo holte sein Notizbuch aus der Jackentasche, »… von 2000 bis 2002 und haben ein Jahr lang hier in Helsinki zusammen gewohnt.«
    »Das stimmt.« Adil nickte und bestellte beim Kellner einen Malt-Whisky.
    »Darf ich nach dem Zweck ihres diesmaligen Finnland-Besuches fragen, warum sind Sie in Helsinki?«
    Adil musterte den finnischen Ermittler. »›Warum?‹ ist eine wichtige Frage. Computer haben in gewisser Weise einen hohen Intelligenzquotienten und viele Tiere eine gut entwickelte emotionale Intelligenz, aber beide können nicht fragen ›warum‹. Diese Frage gibt den Menschen die Möglichkeit, schöpferisch zu sein, Regeln und Situationen zu ändern, Grenzen zu überschreiten. Unsere spezielle Intelligenz gibt uns die Moral, die Mittel, Gut und Böse zu bewerten, Fragen im Zusammenhang mit Leben und Tod zu stellen und Visionen über bisher nicht verwirklichte Möglichkeiten zu haben – also zu träumen.«
    Es dauerte eine Weile, bis Ratamo klar wurde, dass al-Moteiri seine Frage nicht beantwortet hatte. Doch noch bevor er den Mund aufmachen konnte, fuhr der Mann schon fort.
    »Der Zweck meines Aufenthalts war die Teilnahme aneinem von der Technischen Hochschule veranstalteten Seminar, aber leider kam der Zufall auf betrübliche Weise ins Spiel, wie er das gelegentlich zu tun pflegt. Ich erhielt äußerst traurige Nachrichten aus meinem Familienkreis, ich muss schon heute nach London abreisen. Die Familie ist mein Ein und Alles.« Adil bekam seinen Whisky und eine kleine Glasschüssel mit gerösteten Erdnüssen.
    »Hoffentlich ist es nichts Ernstes.« Ratamo versuchte einen mitfühlenden Eindruck zu erwecken, obwohl der Iraker außerordentlich überheblich wirkte. Einen Augenblick lang starrte er auf al-Moteiris Finger, die unverhältnismäßig lang aussahen.
    »Es ist ärgerlich, dass ich zufällig gerade hier bin. Meine Erinnerungen an Helsinki sind schon von früher her nicht sonderlich positiv. Eure Toleranz gegenüber fremden Kulturen ist genauso oberflächlich wie eure ganze Bildung. Aber das ist ja nur natürlich: Ihr habt Jahrtausende im Wald gelebt, und die Bildung hat hier bisher erst die Oberfläche streifen können. Die Situation in alten Kulturländern wie dem Irak unterscheidet sich davon in beträchtlichem Maße, dort braucht man nicht andere nachzuahmen und mit Macht Anerkennung zu suchen.«
    »Das finnische Schulsystem gehört ja zu den besten der Welt und …« Ratamo wurde klar, dass er sich aufregte, er atmete einige Male ganz ruhig und schob sich einen Priem unter die Lippe. »Jedenfalls ist Finnland eine echte Demokratie.«
    »Vielleicht eines Tages. Derzeit habt ihr euch so in euren Wohlstand zurückgezogen, dass ihr gar nicht begreift, was in der Welt wirklich geschieht. Ihr bemitleidet die, die keine Schuhe haben, und seht nicht einmal jene, die keine Beine haben, wenn Sie die kleine Allegorie gestatten.« Adil schaute den verdutzten Ermittler an und grinste. »Das bedeutet so viel wie Sinnbild.«
    Ratamo geriet so in Wut, dass er kein Wort sagen konnte.
    »In der islamischen Welt sind die Dorfgemeinschaften klein und funktionieren, die Menschen kennen einander, die Familien sind groß und halten zusammen, die religiösen Traditionen und Gebräuche sind sehr lebendig und stabil, und die

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