Finnischer Tango - Roman
ballte.
Mit einer Wirklichkeit ganz anderer Art wurde Saari sofort konfrontiert, als er auf die Michailowskaja uliza hinaustrat: vom Rost zerfressene Ladas, vom Wodka verätzte Säufer, ein zahnloser Bettler … Manchmal hatte man das Gefühl, dass in Sankt Petersburg überhaupt keine normalen Menschen lebten – nur Reiche oder Arme.
Saari betrachtete sein Spiegelbild in den Hotelfenstern, während er in Richtung Italjanskaja uliza ging. Er war klein, aber dank seiner guten Haltung sah er zumindest mittelgroß aus. Und die Taille des Arbeit gewöhnten Mannes war nicht in die Breite gegangen, nur die Falten im Gesicht und die fast weißen Haare verrieten sein Alter.
Nachdem er sich auf dem Fußweg eine Weile durch das Gedränge geschlängelt hatte, erreichte er den Platz der Künste, wo ihm der Wind aus der Richtung des Puschkindenkmals Pulverschnee ins Gesicht wehte. Die Telefonzelle war leer. Er trat hinein und wiederholte im Kopf noch einmal seinen Rollentext. Es wunderte ihn, wie sicher er sich fühlte. Er betrachtete kurz die kyrillischen Buchstaben auf dem Telefon, steckte die Münzen in den Apparat und wählte die Nummer. Das Tuten vermischte sich mit dem Klopfen seines Pulses, dann meldete sich Wassili Arbamow.
»Wir haben Ihren Mann in Helsinki, Arkadi Kirilow, getötet und sichergestellt, dass die Polizei bei ihm Ihr Heroin und Beweise gefunden hat, die Sie beide miteinander in Verbindung bringen. Und Ihr Heroin hat heute überall inEuropa zahlreiche Todesfälle durch eine Überdosis verursacht, wir haben dabei ein wenig nachgeholfen. Wie Sie wissen, ist die Zusammensetzung Ihres Heroins leicht zu identifizieren«, sagte Saari in Englisch fast ohne Luft zu holen und war wütend, dass seine Stimme vor Anspannung und Hass etwas verzerrt klang.
Arbamow schwieg einen Augenblick. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist der äußerst geschmacklos«, erwiderte der Russe, stellte mit der Fernbedienung den Ton der Fußballübertragung ab, schaltete den Lautsprecher des Telefons ein und winkte seine Assistentin Renata näher heran.
»Wir übersenden Ihnen in Kürze die Zahlungsanweisungen und Kopien der gesammelten Beweise gegen Sie. Unser Konto befindet sich bei einer Bank in Aruba, somit haben Sie bis Mitternacht Zeit, zu zahlen.« Saari schaute auf seine Uhr – es war 13 Uhr. »Genau elf Stunden. Die Zeit läuft.«
»Bringen Sie sich nicht unnötig um Ihren Nachtschlaf, Sie würden vergeblich warten«, sagte Arbamow, und es rauschte so lange, dass er schon glaubte, das Gespräch wäre unterbrochen.
»In dem Fall töten wir noch mehr Ihrer Dealer und sorgen für neue Todesfälle durch Überdosis. Und wenn auch das nicht hilft, teilen wir den Behörden die Namen aller Ihrer Dealer mit, und Ihre ganze Heroin-Operation wird zunichte gemacht«, entgegnete Saari, beendete das Gespräch und ging in Richtung Newski-Prospekt.
Nach dem Telefongespräch fühlte er sich schmutzig. Von allen Verbrechern verabscheute er die Drogendealer am meisten, vor allem die ausländischen, die sich nach Finnland eingeschlichen hatten. Wenn Adil ihn doch eher hätte beginnen lassen: Arbamows Männer hatten in den letzten Wochen Zeit gehabt, ihre tödliche Ware bereits an Tausende Menschen zu verteilen. Auch in diesem Augenblickstach irgendein Jugendlicher die Heroinspritze das erste Mal in seine Vene. Die armen Kerle wussten nicht, in welche Hölle sie geraten würden. Er wusste es, hatte es über fünfzig Jahre lang gewusst. Durch die Herointabletten seines Bruders war er schon als Teenager heroinabhängig geworden. Die Tabletten hatte man an der Front wie Aspirin verteilt, sogar als Hustenmedizin.
Saari erreichte den Newski-Prospekt, er würde mit der Metro bis zur Station Sennaja Ploschtschad fahren und von dort zum Büro des Kurierdienstes FedEx laufen.
Wenn alles so klappte wie vorgesehen, dann käme sein großer Augenblick übermorgen, am finnischen Unabhängigkeitstag.
14
Die Straßenbahn der Linie 6 hielt quietschend vor dem Stockmann-Warenhaus in der Mannerheimintie, und Eeva Hallamaa schreckte aus dem Halbschlaf auf. Den Sonntagmorgen hatte sie nicht mit Mikko, einer Tasse Kaffee und der Zeitung im Bett verbracht, sondern mit der Vorbereitung des Seminars auf dem Campus in Kumpula. Sie stieg aus, trat in ein mit Matsch gefülltes Schlagloch, biss die Zähne zusammen und weigerte sich, wütend zu werden. Heute war das Verlangen nach Drogen verschwunden: Jetzt würde sie alles
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