Finnischer Tango - Roman
aushalten, auch das Bild der Nadel in Arkadi Kirilows Vene und die Drohungen des Türken, die ihr durch den Kopf gingen.
Am Vormittag hatte sie lange mit ihrer Psychotherapeutin telefoniert und für den nächsten Tag ein zusätzliches Treffen vereinbart. Das Verlangen nach Speed fiel in Wellen über sie her, warum nur hatte sie das einmal mehr vergessen? Auch die schlimmste Gier hielt nur eine bestimmteZeit an und verschwand dann genauso schnell, wie sie gekommen war. Sie müsste die Auslöser des Verlangens wirksamer eliminieren können, vor allem den Stress. Hass, Ängste und Langeweile vermochte sie sehr wohl zu kontrollieren, aber ihre Fähigkeit, Stress zu ertragen, ähnelte der eines Kaninchens. Das starb unter Umständen schon, wenn es nur erschrak.
Als Eeva sich dem runden Gebäude des Svenska Teatern näherte, wurde ihr klar, dass der Weg zum Restaurant »Vespa« von der Haltestelle auf dem Bulevardi etwas kürzer gewesen wäre. Aber das spielte keine Rolle, es war erst Viertel vor eins, also noch zu früh. Sie war müde. Die Drohungen des Türken hatten sie fast die ganze Nacht nicht schlafen lassen und gingen ihr immer noch unablässig durch den Kopf: »… das ist erst der Anfang … die Polizei wird Ihnen Drogenbesitz und vielleicht auch den Mord an Kirilow zur Last legen.« Das schien alles keinen Sinn zu ergeben. Wenn dieser Russe tatsächlich in Hernesaari umgebracht worden war, warum hatte man ihr das bei der Polizei nicht gesagt? Was hatte der Türke mit seiner Bemerkung gemeint, sie müsse ihm helfen? Erwartete sie heute ein noch größerer Schock als gestern, wie es der Türke ihr angedroht hatte?
Sie bereute es auch, dass sie die Polizei nicht sofort über den abendlichen Anruf des Türken informiert hatte. Glücklicherweise hatte Ratamo eben angerufen und angekündigt, er werde sie am Nachmittag besuchen. Arto hatte sich ganz ruhig und sachlich angehört, es war eine Erleichterung, dass sie bei der Polizei einen Freund besaß, der ihr aufrichtig helfen wollte. Sie beabsichtigte, Ratamo von dem Anruf des Türken zu erzählen. Anders als Mikko glaubte er ihr, und vielleicht konnte Arto auch seinen Kollegen gut zureden, vielleicht kam doch alles in Ordnung. Heute schien das Leben voller Hoffnung zu sein: Kirsi hatte sich am Morgen anscheinend nicht einmal mehr an die Gefühlsausbrücheihrer Mutter erinnert, und selbst der Frost wirkte milder als gestern. Sie hätte am Sonntag lieber zu Hause Mittag gegessen als im Restaurant, aber Mikko wollte mit ihr an einem neutralen Ort reden. Was bedeutete das wohl?
Eeva überquerte die Bushaltestelle auf dem Erottaja und dann bei Gelb die Etelä esplanadi, klopfte im Windfang des Restaurants »Vespa« den Schnee von den Schuhen und zog den Mantel aus. Sie entschloss sich, an der Bar im Erdgeschoss auf Mikko zu warten. Die rote Farbe an den Restaurantwänden sprang einem ins Auge, und der bunte Fußboden aus kleinen Fliesen wirkte unruhig.
Sie setzte sich ans Fenster und schlug die Speisekarte auf. Mikko verstand es meisterhaft, die Monotonie des Alltags zu durchbrechen und andere aufzuheitern, mal nahm er sie mit ins Konzert, mal zu einem Eishockeyspiel. Gerade seine Fähigkeit, das Leben zu genießen, mochte sie an ihm am meisten. Vielleicht wollte er sie mit seiner Einladung zum Essen aufmuntern. Möglicherweise glaubte er ihr nun, was am Vortag geschehen war. Bei den Hauptgerichten des Menüs fand Eeva eine Tagliatelle vegetariana: Ziegenkäse, Oliven, sonnengetrocknete Tomaten, Zucchini, Paprika, Zwiebel und Champignons in Tomaten-Kräuter-Soße mit Tagliatelle. Das würde sie vielleicht essen können, obwohl ihr die Sorgen den Appetit genommen hatten.
Mikko verspätete sich. Gerade als Eeva beabsichtigte, den Kellner herbeizuwinken, fiel ihr Blick auf den Mann am Nebentisch, der sie anstarrte wie ein Pornovideo und ihr zuzwinkerte. Idiot. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass man ihr die Vergangenheit ansah. Vor einer schönen und intelligenten Frau fürchteten sich die Männer, aber einer schönen Frau mit Alkohol- oder Drogenproblemen rückten alle Spielernaturen auf den Leib.
Eeva vertiefte sich für einen Augenblick in die Speisekarte und winkte dann den vorbeigehenden Kellner herbei. Genau in dem Moment fuhr ein schwarzer PKW auf den Fußweg und hielt etwa einen Meter von den Fenstern der Bar entfernt an. Die getönte Scheibe auf der Seite des Beifahrersitzes wurde heruntergelassen, und der Türke schaute Eeva mit eisigem Blick an.
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