Finnischer Tango - Roman
noch der Tod erwartete, ließ das Blut in den Schläfen rauschen. Erinnerungen tauchten vor ihm auf: Der Julitag, den er splitternackt am Sandstrand von Pihlajasaari verbracht hatte, das Überschreiten der ersten Schwelle zum Erwachsensein bei der Konfirmation in der Johannes-Kirche, er sah sich die weiße Abiturienten-Mütze auf den Treppen des Gymnasiums schwingen und spürte, wie ihn die Trauer schwächte.
Er durfte seinen Hass nicht verlieren, denn der verlieh ihm Kraft, sagte sich Saari und war wütend auf sich selbst. Wenn er jetzt schon zögerte, wie sollte er dann imstande sein, die eigentliche Aufgabe zu erfüllen. Er ließ vor seinem geistigen Auge Bilder von Leichen jämmerlich gestorbener Drogensüchtiger vorbeiziehen, die er als Polizist gesehen hatte. Und dann dachte er an Wassili Arbamow, der dank des Geldes und der Leiden seiner Opfer im Luxus lebte undgerade wieder für Tausende neue Opfer sorgte. Genau deshalb war er hier, auch er hatte wegen solcher Parasiten wie Arbamow alles verloren. Oder eigentlich hatte er sich nicht einmal etwas anschaffen können, was er zu verlieren hätte: ein Zuhause, eine Familie, Kinder … Er hob den Hörer ab und wählte die Nummer, die er sich eingeprägt hatte, es dauerte lange, bis sich Arbamow endlich meldete.
»Sie haben gestern die Kopien unserer Beweise sowie die Zahlungsanweisungen erhalten, aber wir haben kein Geld bekommen.«
Arbamow lachte. »Ich pflege nicht jedem nachzugeben, der mich bedroht. In diesem Land und besonders in … bestimmten Kreisen ist es üblich, dass man nicht zu Kreuze kriecht, sondern die Dinge anders regelt.«
Saari ging seinen Rollentext noch einmal im Kopf durch, bevor er fortfuhr. »Ich habe gestern angekündigt, dass Sie heute einen neuen Beweis unserer Stärke erhalten, ein Zeichen dafür, wie ernst wir es meinen.« Er legte eine kleine Pause ein, um seinen folgenden Worten Nachdruck zu verleihen. »German Dworkin wurde heute in Helsinki ermordet.«
»Wir müssen uns treffen«, erwiderte Arbamow schroff.
»Nein. Sie müssen zahlen«, sagte Saari, und für einen Augenblick hatte er Lust, einfach aufzulegen und den Mann in seiner Angst schmoren zu lassen, aber Adils Manuskript sah etwas anderes vor. Das Telefongespräch musste fortgesetzt werden.
»Ich brauche etwas mehr Zeit. Das Geld ist zwar auf meinem Konto, aber ich habe selbst eine Begrenzung der Summe festgelegt, die innerhalb von vierundzwanzig Stunden abgehoben werden kann. Ausdrücklich aus Angst vor einem Missbrauch«, log Arbamow.
»Ich werde jetzt nicht mehr versuchen, Sie zu … überreden, aber Sie erhalten eine zweite Chance. Wenn Sie dasGeld nicht gemäß den gestrigen Anweisungen bis heute 24 Uhr zahlen, werden die Behörden überall in Europa die gleichen Beweise erhalten wie Sie. Ihnen bleiben noch dreizehn Stunden.« Saari knallte den Hörer hin und hatte das Gefühl, erfolgreich gewesen zu sein. Er wusste, dass Arbamow alle gewünschten Telekommunikationsdaten von seinem Operator erhielt, und der würde seine Spur schnell bis zum Grandhotel Europe zurückverfolgen. Und das war auch beabsichtigt, sie sollten ihn ja aufspüren. Deshalb hatte er von der Station Gostiny Dwor in unmittelbarer Nähe seines Hotels angerufen und deshalb würde er Arbamow gleich aus seinem Hotelzimmer eine E-Mail schicken, über die man sein Handy ausfindig machen könnte.
Der Zeitplan musste eingehalten werden, er wollte dem Schmerz am kommenden Tag ins Auge sehen, am finnischen Unabhängigkeitstag. Dieses Datum würde ihm Kraft geben.
Arbamow schlug mit der Faust auf den Mahagonischreibtisch, sein Gesicht war vor Wut ganz rot, eine Flut von Flüchen ergoss sich über Renata. »Prüfe, ob die Information zu Dworkin stimmt. Und Vimpelcom soll ermitteln, woher der Erpresser angerufen hat, dann kann der Operator endlich mal etwas für die Bestechungsgelder tun, die er ständig kassiert.«
Renata machte keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen. »Du musst dich beruhigen, Wassili, die Lage ist unter Kontrolle. Dieser Erpresser ist unser einziges Problem. Die Verteilung des Heroins läuft überall in Europa auf Hochtouren, und das Geld strömt auf die Konten. Wenn wir den Erpresser zu fassen kriegen, entsteht uns durch die Todesfälle wegen einer Überdosis kein Schaden. Niemand kann uns damit in Verbindung bringen. Also entspanne dich.«
»Du weißt sehr wohl, was mich entspannen würde«, sagte Arbamow, trat hinter Renatas Stuhl und legte die Hände auf ihre Schultern.
»Das
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