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Finnischer Tango - Roman

Finnischer Tango - Roman

Titel: Finnischer Tango - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Richtung Kanal fort, bis er nach rechts in die Kasnatschejskaja uliza einbog; in dieser Straße hatte Dostojewski unter drei verschiedenen Adressen gewohnt. Eine streunende Katze im Schatten und das trostlose Licht der Straßenlaterne, das die Abenddämmerung nur schwach erhellte, schufen eine Dostojewskische Stimmung. Saari blieb einen Augenblick vor dem Haus Nummer sieben stehen, hier hatte der Schriftsteller »Schuld und Sühne« geschrieben.
    Die Wohnung Raskolnikows geliebter Sonja Marmeladowa befand sich am Ende der Straße am Ufer des Gribojedow-Kanals, aber Saari fand das Gebäude nicht sonderlich eindrucksvoll. Das Haus von Petrowitsch interessierte ihn nicht, aber das der alten Wucherin musste er natürlich noch sehen, dort war immerhin der berühmteste Romanmord der Welt geschehen. Er ging am Nordufer des Kanals entlang bis zur Brücke, dann am Südufer bis zur nächsten Straßenecke und bog in die Srednjaja Podjatscheskaja ab. Der kalte Wind wirbelte durch die schmalen Gassen. Saari betrachtete eine Weile das häßliche Haus, in dem Raskolnikow die alte Pfandleiherin und ihre Schwester mit der Axt ermordet hatte, aber der Tatort lenkte ihn nicht von den bald bevorstehenden Ereignissen im wirklichen Leben ab: Sein eigener Tod würde sehr real sein.
    Eine halbe Stunde später hielt der Metrozug quietschend an der Station Gostiny Dwor. Veikko Saari stieg hinauf und wartete, bis eine mit grellbunter Werbung bedeckte Straßenbahn vorbeigerasselt war, dann überquerte er den Newski-Prospekt und ging zum Haupteingang des Grandhotel Europe, das so groß wie ein ganzer Häuserblock war. Der breite Treppenaufgang, der rote Teppich auf den Stufen, die gemaserten Marmorplatten auf den Treppenabsätzen – dann fiel die Tür ins Schloss, und er stand wieder in seinem Zimmer.
    Wenn Adil doch endlich anrufen würde. Saari schob den Stecker des Kassettenrekorders in die Dose, holte sein Notizbuch aus dem Schreibtischschubfach und überlegte, ob die heutige Nachrichtensendung die letzte sein würde, die er mitschrieb.
    Das Telefon klingelte, er spürte einen Anflug von Angst, verdrängte sie aber sofort aus seinem Bewusstsein. Niemand wollte endlos lange warten.
    »Geht es dir gut?«, erkundigte sich Adil in Englisch.
    »Besser als je zuvor. Ich warte nur auf … genau diesen Anruf, hoffentlich«, versicherte Saari.
    »Und du hast deine Entscheidung nicht bereut?«
    »Nicht einen Augenblick lang.« Saaris Stimme klang entschlossen. »Hoffen wir, dass ich niemanden enttäusche.«
    »Das braucht man doch wohl nicht zu befürchten?«, sagte Adil besorgt. »Du hast dich ja sicher in den letzten Wochen darum gekümmert, dass du in einer guten körperlichen Verfassung bist?«
    Saari beteuerte, dass er sich auf das Bevorstehende so sorgfältig wie möglich vorbereitet hatte, aber Adil stellte weiter Fragen nach seinem Befinden. Er wird doch nicht etwa Angst haben, ich könnte das Kettenglied sein, das versagt, dachte Saari.
    Dann kam Adil endlich zur Sache: »Arbamow hat bisher noch nicht gezahlt.«
    »Das hast du ja vermutet. Und dementsprechend bin ich vorbereitet. Auf das Schlimmste.«
    In der Verbindung herrschte für eine Weile Schweigen. »Gut so, dann gibt es ja keine Überraschungen. Du bist also bereit, die zweite Phase zu beginnen? Obwohl du weißt, was das bedeutet.«
    Saari versicherte nochmals, alles sei in Ordnung, und schließlich schien es ihm so, als würde Adils Stimme vor Zufriedenheit weicher werden.
    »Versuche jetzt, deine letzten Stunden zu genießen. Wenn du etwas möchtest, dann rufe an«, sagte Adil.
    Saari verabschiedete sich, beendete das Gespräch und dankte im Stillen Adil al-Moteiri einmal mehr dafür, dass er ihm einen menschenwürdigen Tod ermöglichte, ehe er bei fortschreitender Krankheit die Kontrolle über sein Leben verlieren würde. Allzu viele alte Leute, die er kannte, wurden in Altersheimen und Pflegeheimen gefüttert, angezogen und gehätschelt wie kleine Kinder. Dank Adil brauchte er nicht als einsamer, von der Hilfe anderer abhängiger Mensch zu sterben, der nichts mehr verstand.
    Als er den Newski-Prospekt überquerte, hörten sich seine Schritte energisch und bestimmt an, obwohl er gleich ein Telefongespräch führen würde, nach dem es kein Zurück mehr gab. Heute oder morgen war seine Zeit abgelaufen.
    Im Stimmengewirr der Metro-Station Gostiny Dwor griff Veikko Saari nach dem Hörer in der Telefonzelle, hob ihn aber nicht ab. Die Erkenntnis, dass ihn nach diesem Gespräch nur

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