Finnischer Tango - Roman
dem Fotoatelier gemacht hatte.
»Fahr schnell hier weg, bevor uns jemand in der Nähe der Leiche sieht. Ihr könnt für den Rest des Tages freinehmen. Vielleicht«, sagte Zana, als der Motor aufheulte.
»Ein bisschen Freizeit haben wir auch mal nötig«, erwiderte der Fahrer und trat aufs Gaspedal.
Die Genialität von Adils Plan verblüffte Zana einmal mehr. Es war geradezu ein Wunder, dass sich die Wege von Adil und der PKK gekreuzt hatten, den Kurden wurde selten etwas Gutes zuteil. Manchmal hatte Zana sogar das Gefühl, dass ein Fluch auf ihnen lag oder zumindest die Geißel der Gleichgültigkeit: Niemand schien sich für die fünfundzwanzig Millionen Kurden auf der Welt zu interessieren.
Die türkische Armee hatte während der letzten zwanzig Jahre über drei Millionen Kurden aus ihren Häusern vertrieben, und die Armut hatte dazu geführt, dass noch mehr seiner Landsleute aus ihrer Heimat geflohen waren. Über dreißigtausend Kurden waren als Opfer des Krieges gestorben und um ein Vielfaches mehr durch das Elend und die Krankheiten infolge des Krieges. Aber die Welt hatte ihre Hilfeschreie nicht hören wollen. Als die Serben im letzten Jahrzehnt fünfhundert Dörfer im Kosovo zerstört hatten, war ein Aufschrei der Entrüstung durch die ganze Welt gegangen.
Zana schaute auf seine Uhr. In Kürze dürfte er der Polizei mitteilen, wo sie die Leiche Dworkins abholen konnte, und dann würde er Adil al-Moteiri anrufen. Den Mann, dank dem die Kurden endlich zu ihrem Recht kommen würden.
Plötzlich ruckte Zana heftig nach vorn, weil der Fahrer eine Notbremsung machen musste. Der Transporter war in zu hohem Tempo auf den Gipfel des Hügels gerast und rutschte nun unausweichlich auf einen gelben Volvo zu, der ihnen entgegenkam. Der Fahrer versuchte auszuweichen, doch der Transporter stellte sich quer, und dann krachte Blech und klirrte Glas. Der Volvo prallte zehn Meter von ihnen entfernt an einen Baum.
»Gib Gas, wir können nicht hierbleiben«, befahl Zana und schaute in den Rückspiegel. Sie waren schon weit von dem Volvo entfernt, als dessen vordere Tür aufging. Vielleicht hatte niemand die Nummer ihres Transporters erkannt.Irgendwo auf dem Industriegelände von Roihupelto heulte ein Metallbohrer auf, das Geräusch klang Adil in den Ohren, als er zufrieden das Resultat seiner Arbeit betrachtete. Allmählich erinnerte das Büro an Camp Bucca. Er hatte den Betonfußboden hellgrün und die Wände graugelb angemalt, stolz war er vor allem auf seine beste Leistung: die Gefangenenzellen. Die Gittertüren waren mit brauner Farbe entstanden und die pulsierende Dunkelheit in den Zellen mit Schwarz. Der Eindruck räumlicher Tiefe war besonders gut gelungen.
Er war unruhig, aber das musste auch so sein. Wenn man aus der Struktur seines Wesens die Sensibilität entfernen würde, bliebe nur ein ganz gewöhnlicher talentierter Mensch übrig. Außergewöhnliche Taten erforderten aber eine sehr empfindsame Seele. Allerdings würde er deshalb für den Rest seines Lebens unter dem Tod seiner Schwestern, dem Verlust Eevas und den Gräueln von Camp Bucca zu leiden haben, das musste er akzeptieren.
Adil setzte sich an den Schreibtisch, trank den Rest seines kalt gewordenen Tees und versuchte sich zu beruhigen. Das Schwierigste an der Genialität war, das eigene Talent zielgerichtet einzusetzen, eine Aufgabe zu finden, die tatsächlich motivierte. Wenn alles mit Leichtigkeit gelang, musste die Herausforderung enorm groß sein. Und der Lohn ebenso. Er hatte seine Aufgabe gefunden. Nur um sie zu erfüllen, war es ihm erlaubt gewesen, sowohl die Sprengung seines Hauses in Bagdad als auch das Grauen von Camp Bucca zu überstehen.
Als das Piepen seiner Armbanduhr den Beginn einer neuen Stunde anzeigte, griff Adil wieder zum Pinsel. Ihm knurrte der Magen, aber das Essen musste noch warten: Die Einrichtung des Büros und die Zusammenstellung der Aufnahmen auf einem Videoband mussten vollendet sein, bevor in Sankt Petersburg der große Augenblick des RentnersSaari käme. Danach würde sich das Tempo beschleunigen, die einzelnen Teile seines Planes würden sich miteinander verbinden, und die Welt stünde in Flammen, bis er ihr die Chance zum Frieden böte. Millionen Menschen würde er helfen. So wie es der Schriftsteller Henry Thoreau gesagt hatte: »Es ist nicht von Bedeutung, wie viele auf deine Weise gut sind, denn schon ein Krümel vollkommener Güte reicht, um den ganzen Teig aufgehen zu lassen.«
Genau in dem Moment, als der
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