Finnischer Tango - Roman
an ihrem Tisch saß.
»Lieber nicht.« Eeva starrte ihn an, bis er auf den Hacken kehrtmachte und zu seinem Rätsel zurückkehrte.
Eeva schaute auf ihre Armbanduhr. Die Bedenkzeit, die der Türke ihr gegeben hatte, ging gerade zu Ende, am liebsten hätte sie die Zeiger herausgerissen und wäre kopflos irgendwohin geflohen. Der gelbe Pernod wurde trüb und weiß, als sie Wasser dazu goss. Sie hätte Rotwein bestellen sollen, dessen Flavonoide beugten Krankheiten vor. Das erste Glas hatte dafür gesorgt, dass sie sich entspannte,wieder klarer denken und ihre Lage ungefähr einschätzen konnte. Um aber die Ereignisse an diesem Morgen zu vergessen, hätte es mehr Anis-Schnaps gebraucht, als man in Frankreich abfüllen konnte. Ihre Bedrängnis ließ nicht im Geringsten nach, obwohl sie sich immer wieder versicherte, keine Mörderin zu sein. Sie hatte diesen Russen aus Mikkos Fotoatelier nicht umgebracht.
Am Vormittag hatte sie ernsthaft in Erwägung gezogen, mit Kirsi irgendwohin zu fliehen: ins Ausland, in die Sommerhütte ihrer Eltern nach Asikkala, in eine Herberge in der lappischen Einöde, auf einen verlassenen Bauernhof mitten im Wald von Kainuu … Aber nun war ihr klar, dass eine Flucht keines ihrer Probleme lösen würde. Wenn der Türke der Polizei die Fotos aus Mikkos Studio übergäbe und von den Drogen berichtete, die er versteckt hatte, wären sie und Kirsi bis an ihr Lebensende auf der Flucht. Und wenn sie der Polizei selbst alles erzählen würde, bekäme sie wahrscheinlich eine Anklage zumindest wegen eines Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz und würde Kirsi verlieren. Es gab keine Alternative, sie war gezwungen, sich auf die Zusammenarbeit mit dem Türken einzulassen. Vielleicht würde ihr unterwegs irgendetwas einfallen.
Als der Minutenzeiger den Strich über der Eins erreichte, trank Eeva entschlossen ihr Glas aus und verließ die Gaststätte. An der nächsten Straßenecke schaute sie sich verstohlen um, konnte aber das schwarze Auto des Türken nirgendwo entdecken. Es waren nur noch ein paar Grad unter null, und das kam ihr nach der langen Kälteperiode schon fast warm vor.
Um was würde der Türke sie bitten? Der Gedanke machte ihr angst. Plötzlich wurde ihr klar, dass er ja auch etwas von ihr verlangen könnte, wozu sie nicht imstande war. Was würde dann geschehen? Würde er dann die gefälschten Beweise, die sie belasteten, der Polizei übergeben? »Es genügt,wenn man sein Bestes tut« – das dürfte kaum einer der Grundsätze des Türken sein.
An der Kreuzung von Merimiehenkatu und Albertinkatu roch sie vor der offenen Tür eines Restaurants, das sie kannte, den Duft gutbürgerlicher Küche und hörte plötzlich ein Telefon klingeln. Der schrille Ton war ihr nicht vertraut, es klang aber so, als wäre es ganz in der Nähe, in ihren Sachen. Sie steckte die Hand in die Manteltasche und zog ein Telefon heraus, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Eeva zögerte einen Augenblick und hoffte noch, sie würde genau jetzt in ihrem Bett neben Mikko aufwachen und hören, wie Kirsi in ihrem Zimmer herumklapperte … Aber es half nichts, sie musste sich melden. Vielleicht würde sie ihre Aufgabe erfahren und endlich verstehen, warum man gerade sie in diesen Alptraum hineingezogen hatte.
»Es tut mir leid, dass wir uns nicht treffen können …«, sagte Turan Zana, aber Eeva unterbrach ihn.
»Ich bin einverstanden. Was muss ich tun?«, sagte sie rasch.
»Natürlich sind Sie einverstanden, Ihnen bleibt ja gar nichts anderes übrig.« Zana hörte sich überheblich an.
»Was ist das für eine Aufgabe?« Eeva redete jetzt so laut, dass ein Chihuahua, der auf der anderen Straßenseite sein übergewichtiges Frauchen ausführte, in schrillem Ton zu bellen begann.
»Ihre Aufgabe ist extrem schwierig, fast unlösbar für alle anderen, aber für Sie ist das eher leicht. Deshalb wurden Sie ausgewählt. Sie können sich vorbereiten, indem sie Ihr … Gedächtnis trainieren. Ich weiß nicht, wie Ihr Zahlengedächtnis funktioniert, aber vermutlich kann man auch das irgendwie trainieren. Etwas anderes brauchen Sie nicht zu tun, Sie müssen nur zu ihrer Normalleistung fähig sein, wenn es darum geht, sich Zahlen zu merken.«
Eevas Mund entschlüpfte ein trockenes Lachen. Wegen so etwas war man im Begriff, ihr Leben zu zerstören? »Ich will mich nicht vorbereiten, vielen Dank. Ich würde meinen Beitrag am liebsten jetzt sofort leisten. Diese Hölle muss ein Ende haben, ich halte das nicht mehr
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