Finnisches Blut
Gegenmittel mit und wir Ihre Tochter«, sagte Sterligow höhnisch.
»Meinetwegen. Dir ist sicher eines klar: Wenn Nelli irgend etwas passiert, dann müßt ihr auch mich umbringen. Denn ich werde dann nur noch eins im Sinn haben, dich zu suchen und zu finden«, erwiderte Ratamo leise und meinte das auch so, wie er es sagte, obwohl er nicht wußte, wo diese Drohung herkam.
»Wir werden Ihrer Tochter kein Härchen krümmen, wenn Sie uns die Formel geben. Aus Sicht Ihrer eigenen Gesundheit dürfte es am besten sein, wenn Sie mir glauben, daß Ihre Möglichkeiten gegen unsere Organisation ungefähr dieselben sind wie die einer Mücke in der Hölle.«
Ratamo stand auf dem Markt von Hietalahti, schaute hinauf zum dunklen Himmel und holte tief Luft. Alles in seinem Leben brach zusammen.
Sterligow rieb sich die Hände. Die Lage hatte schon besorgniserregend ausgesehen. Zu seiner Überraschung war Ratamo so spurlos verschwunden, daß selbst das gewaltige Kontaktnetz des SVR keine Hinweise zu dem Mann liefern konnte. Nicht |324| einmal FAPSI, der Dienst der Regierung für die Telekommunikation, hatte Informationen über den Mann gefunden. Er hatte Kontakt zu FAPSI aufgenommen, weil der Dienst die Kommunikationsverbindungen in Finnland mit Hilfe von Satelliten und leistungsstarken Bodenstationen besser abhören konnte als die Abteilung für Signalaufklärung oder die Abteilung für Operative Aufklärung der Nachrichtendienstfiliale des SVR in Helsinki. Sterligow war sicher gewesen, daß ein Amateur über kurz oder lang einen Fehler begehen würde. Dennoch hatte er nicht angenommen, daß Ratamo so dumm wäre, sein Handy zu benutzen.
Sterligow legte die Füße auf den Tisch und rief in der Küche an. Es war Zeit für einen Wodka.
Für eine Weile hatte er schon befürchtet, daß durch Ratamos Flucht sein Arbeitsplatz gefährdet würde. Das wäre sein Ende gewesen. Seit er nach dem Tod seines Vaters als Waise zurückgeblieben war, hatte er das Komitet Gosudarstwennoi Bezopasnosti als seine Familie angesehen. Sein Studium hatte ihn zunächst ins Moskauer Institut für Internationale Beziehungen geführt und dann in die legendäre Schule Nummer 101 des KGB, die heutige Akademie für die Nachrichtendienste. Seine erste Arbeitsstelle hatte er in der achten Abteilung des Dienstes für die Auslandsaufklärung erhalten, das heißt in der sogenannten Abteilung V, deren ehemaliger Name – Abteilung für Bluttaten – sehr gut auch ihre heutigen Aufgaben beschrieb. Doch bald erkannte er, daß die Einsätze in der Praxis allein seinen Ehrgeiz nicht befriedigen konnten. Er stellte den Antrag auf Versetzung in die dritte Abteilung der Hauptverwaltung für Auslandsaufklärung. Deren Aufgabe war die Spionage gegen Großbritannien, Finnland, die skandinavischen Länder, Neuseeland und Australien. Er hatte sich bereits Verdienste erworben |325| und ging ganz in seiner Arbeit auf, also bekam er die Stelle. Da er blond war, skandinavisch aussah und Finnisch sprach, wurde er einer kleinen, auch als Suomi-Mafia bezeichneten Gruppe zugeteilt. Die Zugehörigkeit zu ihr war sogar im Rahmen des KGB ein Privileg. Finnland diente ja zu der Zeit als Labor der Auslandsaufklärung des KGB.
Der Wodka wurde gebracht, und Sterligow schreckte aus seinen Erinnerungen hoch. Er öffnete das unterste Schubfach in seinem Schreibtisch und nahm aus einer hölzernen Schachtel eine Aluminiumröhre mit einer vakuumverpackten kubanischen Partagas-Zigarre. Sorgfältig vollzog er das Ritual beim Anzünden. Er schmeckte eine Weile das Mandelaroma des weichen Rauches und blies ihn langsam durch die Nase aus. Ein Tropfen vom Stolitschnaja fiel auf den Teppich, als er das Glas erhob: auf den SVR, auf sich selbst und auf das Gegenmittel von Arto Ratamo, der schon fast ein toter Mann war.
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Auf der Kontrolltafel in der operativen Zentrale blinkte ein rotes Lämpchen. Der Diensthabende steckte seine Kopfhörer ein, so daß er Arto Ratamos Handy abhören konnte. Die Aufzeichnung mußte er nicht extra starten, weil alle zu überwachenden Gespräche automatisch gespeichert wurden. Man hatte ihm die Wichtigkeit der Leitung 23 eingeschärft, also hörte er äußerst konzentriert zu. Unmittelbar nach Ende des Gesprächs rief er seinen Anweisungen entsprechend Parola an.
Die Sekretärin teilte ihm mit, daß Parola nicht da sei, und verband ihn mit Oberst Kari Metso.
»Wo ist Ratamo?« fragte Metso.
»Die Peilung hat ergeben, daß er sich in der Kaufhalle von Hietalahti
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