Finnisches Blut
Ferienhaus auf einer der Inseln vor Tammisaari ein verlängertes Wochenende verbringen wollten. Er hatte sogar Anfang der Woche Manneraho gebeten, ihm zwei freie Tage zu genehmigen. Wochenlang hatte Kaisa ihn gebettelt, wenigstens ein verlängertes freies Wochenende im Ferienhaus |59| zu verbringen, damit sie ihre snobistischen Freunde zu einer Party und zum Krebsessen einladen konnte.
»Beruhige dich. Wir fahren aufs Land, genau so, wie wir es vereinbart haben. Es ist doch erst neun. Ich wollte gerade anfangen einzupacken. Außerdem ist es viel besser, früh einkaufen zu gehen, wenn dort nicht so ein Gedränge herrscht. Da spart man Zeit.«
Ratamo wollte nicht, daß es sich allzusehr anhörte, als wolle er um Entschuldigung bitten. Daran würde Kaisa nämlich erkennen, daß er den ganzen Ausflug tatsächlich vergessen hatte. Auf das bevorstehende lange freie Wochenende freute er sich jedoch. Er würde sich erholen und mit Kaisa das Programm für den Sommerurlaub vereinbaren. Außerdem ließen sich wertvolle freie Tage sparen, wenn er die organisatorischen Urlaubsvorbereitungen in der nächsten Woche auf Arbeit erledigen könnte. »Sind die Geschäfte schon ab acht geöffnet?« fragte Kaisa zur Freude Ratamos ziemlich ruhig. Gerade wenn er solche Absprachen vergaß, explodierte Kaisa und suchte dann tagelang Streit. »Wenn wir in Tammisaari ankommen, sind sie garantiert geöffnet«, sagte Ratamo, zum Glück war ihm schnell eine Antwort eingefallen.
»So, Alter, jetzt fängst du aber an zu packen und überlegst dir, was du morgen im Alko-Geschäft kaufst. Ich will nicht wieder eine Stunde im Auto sitzen und warten, wenn du die Weine auswählst.« Die immer noch erboste Kaisa sah in ihrem gut sitzenden Hosenanzug von Narciso Rodriquez begehrenswert aus. Die Kreation hatte mehr gekostet als alle seine Sachen zusammen. Ratamo ärgerte sich, daß er seine Frau wütend gemacht hatte. Schon den ganzen Abend hatte er nämlich Lust auf Sex. Und die ständige Streiterei belastete ihn. Außerdem war er ja nicht mal betrunken, höchstens leicht |60| beschwipst. Deswegen brauchte man sich nicht so aufzuregen. Und schließlich hatte er ja einen Grund zu feiern. Kaisa schien jedoch völlig zu ignorieren, daß er in den letzten Monaten unheimlich geackert und gerade eine bedeutende wissenschaftliche Entdeckung gemacht hatte. Solche Vorfälle ließen Ratamo mit jedem Tag mehr zu der Überzeugung gelangen, daß er sich einen Ruck geben und die Ehe beenden mußte, bevor Nelli durch den ewigen Streit ihrer Eltern bleibende psychische Schäden davontrug.
Nelli schaute ihren Vater an und machte einen Schmollmund. Es ist schlimm, dachte Ratamo, wieder einmal muß das unschuldige Kind leiden, weil die Erwachsenen nicht miteinander zurechtkommen. Er erinnerte sich nur zu gut, was ein Kind dabei fühlt.
»Wenn wir zurückkommen, geht Vati mit dir Eis essen und spielt mit dir den ganzen Abend«, sagte Ratamo zu seiner Tochter.
»Toll. Aber warum kann ich nicht mit ins Ferienhaus?« Nelli schaute den Vater mit ihren großen grünen, weit geöffneten Augen an. Ihre Verärgerung schien schon verflogen zu sein. Ratamo empfand grenzenlosen Stolz, daß er solch eine Tochter wie Nelli hatte. Sie war das größte Wunder auf der Welt, ein viel größeres als das Mittel gegen Ebola-Helsinki.
»Ach, weißt du, mein Schatz, manchmal müssen die Erwachsenen für eine Weile ganz unter sich sein. Du, es ist schon nach neun, jetzt wird es für kleine Mädchen Zeit, ins Bett zu gehen. Putz dir die Zähne, dann liest dir Vati noch ein Märchen vor.«
»Jaaaa!« rief Nelli und rannte mit dem Schwung einer Sechsjährigen in Richtung Bad. Fast jeden Abend las Ratamo ein Märchen vor, diese Minuten waren das, was Vater und Tochter |61| am meisten miteinander verband. Der gemeinsame stille Augenblick, wenn die Hektik des Tages schon vorbei war. Auch Ratamo selbst kam zur Ruhe, während er die Märchen vorlas. Seit sie damit begonnen hatten, schlief er besser als je zuvor.
Mit dem
Non
auf dem Kopf ging er in Nellis Zimmer.
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In Marjaniemenranta wurde es an diesem Mittwochabend schon allmählich dunkel, als Sirens Blick auf das kubistische Gemälde an der Wand seines Arbeitszimmers fiel. Das grelle Farbenchaos ärgerte ihn, und er überlegte, ob er es wagen sollte, das Bild auf die Müllhalde zu bringen. Er hatte gerade im Kopf die letzten Details seines Planes geklärt und belohnte sich nun dafür mit einem kräftigen Schluck von seinem Getränk für
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