Finnisches Blut
den Alltag, vom V.S.O.P.-Kognak, dem billigsten im Alko-Geschäft.
Eine großgewachsene, kräftig gebaute Frau um die Fünfzig betrat mit klappernden Absätzen das Zimmer und unterbrach Sirens Gedankengänge.
»Ich fahre jetzt mit den Mädchen nach Karjalohja. Es werden auch noch ein paar mehr von uns da sein. Zumindest vor Sonntagabend wirst du dort nicht gebraucht«, sagte die gut gekleidete und geschminkte Reetta Siren kühl.
»Als wüßtest du nicht, daß mich keine zehn Pferde dazu brächten, dort aufzutauchen, wenn du mit irgendeinem Hühnerhaufen da bist«, entgegnete Siren wütend. Seine künftige Ex-Frau verließ den Raum genauso schnell, wie sie gekommen war. Siren wunderte sich, daß Reettas Boshaftigkeit ihn immer noch verletzte.
Nachdem sie weggefahren war, konzentrierte er sich und ging im Kopf die Repliken des bevorstehenden Telefongesprächs |63| durch. Dann nahm er den Hörer und wählte die Privatnummer des Chefs der Sicherheitspolizei.
Siren hielt Jussi Ketonen für einen knallharten Profi auf dem Gebiet der Aufklärung. Der Mann war offen, direkt und sozial, was viele annehmen ließ, er sei harmlos. Siren wußte jedoch, was hinter dem gemütlichen Äußeren steckte. Wenn es darauf ankäme, wäre Ketonen der schlimmste aller möglichen Gegner. Doch Siren mußte sich an ihn wenden, denn die Informationen, die er benötigte, konnte er von niemand anderem erhalten. Er wußte, daß er auf jedes seiner Worte achten mußte, um von Ketonen das zu bekommen, was er wollte. Jetzt war der Rat des chinesischen Kriegsphilosophen Sun Tzu angebracht: »Jeder Krieg beruht auf der Irreführung.«
»Grüß dich, Jussi, hier Raimo Siren. Entschuldige, daß ich so spät noch bei dir zu Hause anrufe, aber die Angelegenheit ist so wichtig, daß sie nicht bis morgen warten kann.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich bin gerade aus dem Büro gekommen«, sagte Ketonen.
»Wie geht’s Musti?« fragte Siren.
»Das Bein kann sie noch heben, auch beim Laufen, hol’s der Teufel, sie ist besser in Form als ihr Herrchen«, antwortete Ketonen. Er war seit einigen Jahren Witwer und hütete den alten cremefarbenen Labrador wie seinen Augapfel. »Kann ich irgendwie helfen?«
In einem Land von der Größe Finnlands trafen sich die Beamten der Nachrichtendienste regelmäßig. Gute persönliche Beziehungen waren für beide Einrichtungen von Nutzen. Gegebenenfalls leistete man einander auch inoffiziell Amtshilfe.
»Der Pekka Vairiala mit seinen Leuten ist schon seit längerer Zeit mit einem Fall beschäftigt, und ich muß aus bestimmen Gründen Ereignisse, die damit im Zusammenhang stehen, |64| ziemlich genau verfolgen. Jetzt sieht es so aus, als hätte Pekkas Abteilung die Sache nicht ganz im Griff. Wie du verstehen wirst, kann ich niemand anderen anrufen, da ihr die beiden Männer seid, die in diesem Staat die operative Aufklärungsarbeit leiten. Um eine zweite Meinung zu hören, würde ich, offen gesagt, gern erfahren, was du von einer bestimmten Sache hältst.« Siren strebte bewußt an, Vairialas Fachkenntnis in Zweifel zu ziehen. Nicht, weil Ketonen eitel gewesen wäre, sondern weil der Mann seine Arbeit äußerst ernst nahm.
»Na, dann erzähle erst mal, worum es geht«, murmelte Ketonen.
Siren runzelte die Stirn, als er hörte, wie ein Streichholz angezündet wurde. Ketonens ständiges Gequalme hatte ihn schon immer gestört.
Dann log er Ketonen vor, die Aufklärungsabteilung habe eine Routineüberwachung der russischen organisierten Kriminalität durchgeführt, weil sie einen Tip bekommen hatte, daß ein umfangreicher Schmuggel und Schwarzmarkthandel mit Waffen der russischen Armee im Gange sei. Organisiert würde er im Auftrag der russischen Mafia von irgendeinem Spezialisten des internationalen Waffenhandels. Und das schlimmste wäre, daß es Gerüchte gebe, wonach auch Finnen in dieses undurchsichtige Knäuel verwickelt seien. Die Nachrichtenabteilung habe versucht, von all ihren Kontaktpersonen und von den ihr bekannten Waffenhändlern Informationen in dieser Angelegenheit zu erhalten, das sei jedoch ein Schuß in den Ofen gewesen. Siren bat Ketonen, zu klären, ob an der Sache etwas dran sei, und ihm eine Liste von allen der SUPO bekannten russischen kriminellen Vereinigungen, ausländischen Waffenhändlern und Waffenkäufern zu schicken, damit er sie mit Vairialas Liste vergleichen könne. Er wolle wissen, ob Vairialas |65| Abteilung bloß nicht imstande sei, dieses Problem zu klären, oder ob das
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