Finnisches Blut
lassen. Jeder Name wurde extra aufgerufen, in der Reihenfolge nach der Spielstärke der einzelnen. Doch den Namen des Letzten, des Schlechtesten, rief man nicht auf. Vairiala wurde rot, als er sich an das Gefühl erinnerte, unter den verächtlichen Blicken der anderen allein auf dem Platz zu stehen.
Er hatte Sirens Zimmer mit gemischten Gefühlen verlassen. Irgend etwas am Verhalten des Chefs störte ihn. Was war Sirens Motiv, so aggressiv in den Virus-Fall einzugreifen? Früher hatte er sich nicht mit derartigem Eifer in Angelegenheiten der Aufklärung eingemischt. Doch andererseits verstand Vairiala, wie ernst die Lage war. In Finnland hatte es in den letzten Jahren keinen auch nur annähernd mit dieser biologischen Massenvernichtungswaffe vergleichbaren Fall für die Aufklärung gegeben. Vairiala vermutete, daß in Siren der alte Jagdinstinkt erwacht war.
Eine blaue Tablette gegen das Sodbrennen verschwand in seinem Mund. In der Regel trank er keinen Kaffee, aber er hatte |95| sich nicht getraut, das seinem Vorgesetzten zu sagen. Er rutschte auf dem Stuhl ein Stück nach vorn, um bequemer zu sitzen.
Warum hatte der Chef des Operativen Stabes den Abteilungsleiter Polizei selbst angerufen und gesagt, er werde den Kommandeur der Streitkräfte und den Generalstabschef informieren, ihm aber gleichzeitig verboten, mit Ketonen oder jemand anderem zu sprechen, ausgenommen den Polizeichef? Siren ließ ihm kein Mittel, die Einzelheiten seines Berichtes zu überprüfen. Wenn er beim Verstoß gegen einen Befehl erwischt würde, bekäme er wahrscheinlich neue, sicher weniger interessante Aufgaben. Siren war überzeugt gewesen, daß sein Untergebener nicht wagte, eine andere Meinung zu haben als ein Mann, auf dessen Kragenspiegeln ein Löwe mehr glänzte als auf seinen eigenen.
Und warum hatte Siren gefragt, ob er Ratamos Tötung für ungesetzlich halten würde?
Vairiala kannte Siren seiner Meinung nach gut. Der Mann war wortkarg und zurückhaltend, aber ein kompetenter Offizier, der dank seiner Intelligenz und seines Ehrgeizes allerbeste Voraussetzungen gehabt hätte. Doch letztlich hatte sein Privatleben das Aufrücken in allerhöchste Ämter verhindert. Alle wußten, daß Siren den Streß mit der traditionellen finnisch-ugrischen Medizin – mit Schnaps – behandelte. Und Siren war einfach zu oft gestreßt. Das war jedoch seine einzige Schwäche.
Das Medikament bewirkte, daß Vairiala gedämpft rülpste. Er hatte seiner Phantasie freien Lauf gelassen. Siren war ein finnischer Mann mit Rückgrat, der nur einen schlechten Tag hatte. Vairiala wußte, daß er nun gezwungen war, Verantwortung zu übernehmen, und versuchen mußte, aus der Situation |96| möglichst Nutzen zu ziehen. Es war sinnlos, noch länger zu grübeln, jetzt mußte er sich auf den Fall Ratamo konzentrieren.
Diese Aufgabe würde ein Wendepunkt in seiner Laufbahn sein, dachte Vairiala und wurde sofort nervös. Ratamo mußte schnell gefunden werden. Man durfte nicht zulassen, daß die Ebola-Viren und die Formel für das Gegenmittel auf den internationalen Waffenmarkt gelangten. Vairiala seufzte tief und strich sich langsam über die Glatze. Wem sollte er die Suche nach Ratamo anvertrauen? Siren hatte ihm ungewohnt deutlich klargemacht, daß keine Informationen über den Fall nach außen dringen durften. Allein würde er den Mann nicht finden. Den Einsatz seiner jungen Agenten, die vielleicht eifriger und effizienter wären, zog er erst gar nicht in Erwägung. Vielmehr überlegte er, wem er im Ernstfall absolut vertrauen konnte. Er entschied sich für ein Kommando, das nur aus zwei Mann bestand.
Für seinen zuverlässigsten Mitarbeiter hielt Vairiala Major Jarmo Leppä, seinen alten Freund. Leppä war ein Mann, der absolut zu seinem Wort stand. Wenn er ihm das Versprechen entlocken könnte, mit niemandem über den Auftrag zu reden, dann wäre darauf Verlaß.
Die Wahl des zweiten Agenten erwies sich als schwieriger. Bei keinem seiner anderen Untergebenen war Vairiala von der Zuverlässigkeit überzeugt. Zumindest nicht in dem Maße, daß er ihm seine Zukunft anvertraut hätte. Schließlich entschied er sich für den knallharten Risto Parola, den stellvertretenden Leiter der Untersuchungsabteilung. Vairiala wußte, wie er ihn motivieren konnte. Der Oberst hatte über zwanzig Jahre in der Schlapphutabteilung gedient, den größten Teil der Zeit war er vor Ort im Einsatz gewesen und hatte im Laufe der Jahre viele |97| anspruchsvolle Aufklärungsoperationen
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