Finnisches Blut
rufen, und wenn die erst jede ihrer Bewegungen verfolgten, wäre es noch schwerer, Ratamo zu schnappen.
Parola und Leppä waren unschlüssig, ob sie nun gehen sollten oder nicht. Da fiel Vairiala noch etwas ein. Er befahl seinen Männern, eine Gruppe mit Scharfschützen und allem anderen, was dazugehörte, zu bilden, die sich als Reserve zu allen Tages- und Nachtzeiten bereithalten sollte. Ratamo aus dem Verkehr zu ziehen wäre jedoch weiterhin in erster Linie die Sache von Parola und Leppä. Da keiner von beiden Fragen hatte, konnten sie endlich den Raum verlassen.
»Kopf hoch, Männer. Schnappt euch diesen Kerl!« rief Vairiala ihnen nach.
Vairiala drückte in seiner Faust den orangefarbenen Streßball |126| zusammen. Er überlegte, wen von beiden er zuerst anrufen sollte, Siren oder den Helsinkier Polizeichef. Falls Siren zufällig versuchen sollte, ihn zu erreichen, und von dem ganzen Fiasko erfuhr, würde er in Wut geraten. Andererseits war es unwahrscheinlich, daß Siren ihn anrief, er hatte ja ausdrücklich den Befehl erteilt, erst dann auf den Fall zurückzukommen, wenn der Auftrag erledigt war.
Vairiala vermutete, daß es leichter wäre, Siren von Parolas und Leppäs Mißerfolg zu berichten, wenn er die Unterstützung des Polizeichefs besaß. Zum Glück hatte Siren das Grundsätzliche schon mit dem Abteilungsleiter für Polizei vereinbart, das würde seine Aufgabe sehr erleichtern. Vairiala kannte den Polizeichef nicht, aber er hoffte, daß der Mann bereit war, zu kooperieren.
|127| 23
Etwa hundert Meter vor dem »Salve« blieb Ratamo stehen und atmete ein paarmal tief durch. In der Gaststätte mußte er seine Panik unter Kontrolle haben. Er steckte die Hände in die Manteltaschen, und in der linken fühlte er etwas, einen abgestempelten Nahverkehrsfahrschein und vierzig Finnmark. Das reichte für ein großes Bier und ein paar Telefongespräche.
Mit hängenden Schultern betrat Ratamo das Lokal und bemerkte sofort, was für eine gute Idee es gewesen war, hier Zuflucht zu suchen. Er ging durch die saubere Speisegaststätte hindurch bis in den hinteren Teil, wo sich die Kneipe befand. Hier hockte bei einem Bier etwa ein Dutzend Leute, von denen einer heruntergekommener aussah als der andere. Die süßlich riechende, vom Zigarettenrauch ganz graue Luft hing wie ein dichter Nebel in dem Raum, obwohl sich die Ventilatoren an der Decke auf Hochtouren drehten. Die Schwüle ließ Ratamos Gedanken einen Augenblick lang abschweifen, er dachte an seine Wanderung zu Fuß am Mekong entlang von Laos nach Kambodscha. Dabei hatte er literweise Flußwasser getrunken und war an Malaria erkrankt.
Am Tresen zeigte Ratamo den Gesichtsausdruck eines apathischen Mannes mit einem Kater. Das war nach den Ereignissen des vergangenen Abends und des Vormittags nicht schwierig. Seine kurzen Haare wirkten ungekämmt, und die |128| rußschwarzen Bartstoppeln zu Ehren des freien Tages waren deutlich zu sehen.
»Ein großes Helles. Und gib mir für den anderen Zwanziger Fünfmarkstücke.«
Eine müde aussehende künstlich Blondierte um die Vierzig nahm die Scheine und reichte Ratamo ein gefülltes Glas, das schon eine Weile gestanden hatte, und das Wechselgeld. Die Kellnerin sagte kein Wort und schaute ihren Kunden auch nicht an.
Ratamo setzte sich an einen Tisch. Es war der einzige, von dem aus man den Eingang sehen konnte. Er hob das Glas, trank mit einem Schluck die Hälfte und konzentrierte sich auf den Tango, der aus der Musikbox erklang und vor Gefühl und Wehmut nur so triefte.
Ohne Vorwarnung tauchte Kaisas zerschossener Kopf vor ihm auf. Das Bild war so deutlich, daß er selbst die kleinsten entsetzlichen Details sah. Er fürchtete, daß sich der Anblick für immer in seine Netzhaut eingefressen hatte, so wie das Gesicht seiner Mutter auf dem Totenbett. Angstschauer liefen ihm den Rücken hinunter.
Es war ihm unmöglich, all das zu begreifen, was während der letzten anderthalb Tage geschehen war. Erst die sensationelle wissenschaftliche Entdeckung. Dann der Mord an Kaisa. Die Behauptung, er wäre ein Landesverräter und noch alles mögliche andere. Die Polizei war ihm auf den Fersen. Er wußte ganz einfach nicht, was er denken sollte. Allmählich machte es ihn wütend, daß man mit ihm umsprang, als wäre er ein Idiot. Er wurde gezwungen, ein Spiel mitzumachen, bei dem es um sein Leben ging, dessen Regeln man ihm aber nicht verriet. Ratamo trank einen Schluck Bier und versuchte sich zu beruhigen.
Das wichtigste war,
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