Finnisches Blut
erledigt.
Vairiala fluchte innerlich, es war verdammtes Pech, daß dieser Ratamo aus der Polizeistation entkommen konnte. Wenn er um drei noch auf freiem Fuß wäre, würde Siren ihm den Kopf abreißen. Vairiala nahm ein Lakritzbonbon aus der Packung auf seinem Schreibtisch. Süßigkeiten waren sein einziges sichtbares Laster. Er spürte einen Schmerz im Backenzahn links unten, obwohl er das Bonbon auf der rechten Seite kaute. Den Zahnarztbesuch schob er schon wochenlang vor sich her. Die Reparatur der Kauwerkzeuge würde möglicherweise ein paar Tausender kosten.
Es war alles Mögliche unternommen worden, um Ratamo zu finden. Vairiala mußte jedoch Sirens Wunsch berücksichtigen, in dieser Angelegenheit äußerst unauffällig vorzugehen. Deswegen konnte er Ratamos Foto nicht an die Öffentlichkeit geben. Denn dann würden sich die Medien wie ein |138| Schwarm Hornissen der Polizei und Ratamo an die Fersen heften, und es wäre unmöglich, den Mann unbemerkt zu verhaften. Im schlimmsten Fall könnte der ganze Konflikt in die Schlagzeilen geraten.
Daß bei dem Fall Ketonen im Hintergrund lauerte, bereitete Vairiala Sorgen. Die Situation erinnerte in vieler Hinsicht an einen Spionagefall vor einiger Zeit, bei dem ein Regierungsrat im Verteidigungsministerium Informationen an die Russen verkauft hatte. Der Mann hatte von seiner Verhaftung Wind bekommen und konnte sich rechtzeitig absetzen. Die SUPO hatte ihn eher aufgespürt als die Aufklärungsabteilung, und bei der Informationsveranstaltung des Verteidigungsrates hatte Ketonen Vairiala wie einen Amateur behandelt. Der Präsident und auch der Ministerpräsident waren anwesend gewesen. Vairiala schämte sich immer noch.
Außerdem plagte ihn noch eine neue Sorge. Ihm war klargeworden, daß er nicht mit Sicherheit wußte, wer alles die Formel des Gegenmittels kannte. Vielleicht versuchte außer Ratamo noch jemand anders, das Ebola-Helsinki-Virus und die Formel zu verkaufen. Ratamo besaß seit dem frühen Mittwochmorgen die Möglichkeit, mit jedem beliebigen Menschen über seine Entdeckung zu sprechen. Vielleicht hatten sie sich zu sehr auf Mannerahos Aussage verlassen, wonach nur er selbst, Arto Ratamo und möglicherweise dessen Frau die Formel des Gegenmittels kannten. Nur Ratamo selbst könnte sagen, wer wirklich die Formel kannte. Möglicherweise wußte er auch, wer sich letzte Nacht in der EELA an den Ebola-Dateien zu schaffen gemacht hatte.
Ratamo mußte gefaßt werden. Mit allen Mitteln.
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Ratamo saß immer noch beim zweiten Bier in der Kneipe. Er steckte seinen achtletzten Priem unter die Oberlippe und warf den alten weg, der längst seinen Geschmack verloren hatte. Die meisten Männer waren der Ansicht, die kleinen, einzeln in dünnem porösem Stoff verpackten Kautabakportionen wären etwas für Frauen. Ratamo jedoch hatte schon vor langer Zeit von dem normalen losen Kautabak, der aussah wie Humus, buchstäblich die Schnauze voll gehabt, denn der breitete sich im ganzen Mund aus und zwang ständig zum Ausspucken. Er strich über seine dunklen Augenbrauen und überlegte, um sich aufzumuntern, was er tun würde, wenn sich alles aufklärte und ein gutes Ende nahm. Als Wissenschaftler würde er jedenfalls nicht mehr arbeiten, und dann befände er sich fast ohne eigenes Zutun in einer Situation, von der er schon lange geträumt hatte: Er wäre Junggeselle und außerdem nicht mehr an die Werktagsroutine von neun bis siebzehn Uhr gebunden. Das alles war jedoch so überraschend und aus derart undurchsichtigen Gründen geschehen, daß er sich noch nicht imstande sah, genauer darüber nachzudenken. Erst mußte er diesen Albtraum überstehen. Er käme nicht mehr in den Genuß der zum Greifen nahen Freiheit, wenn es jemandem gelang, ihn umzubringen.
Als er Liisas Micra erblickte, der aus Richtung des Marktes von Hietalahti kam, schreckte Ratamo aus seinen Gedanken |140| auf. Der Kleinwagen ruckte ein paarmal heftig, als Liisa mitten auf dem Fußweg anhielt. Ratamo stand auf und ging wie versprochen hinaus. Es tat gut, Liisa zu sehen.
»Warum sitzt du an deinem freien Tag hier herum? Du trinkst doch sonst nie«, sagte Liisa, sah ihn mit großen Augen an und wartete auf eine Antwort. Ratamo tat ihr leid. Der Mann sah so aus, als wäre er völlig versackt.
»Na ja, wie gesagt, der gestrige Abend ist eben versehentlich etwas lang geworden. Das ist aber eine Ausnahme, und die bleibt es auch, zumindest mit Manneraho.« Ratamo zog die linke Augenbraue hoch und
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