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Finnisches Blut

Finnisches Blut

Titel: Finnisches Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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der Telefonzelle heraus. Die Oma bedankte sich wortreich und machte sich mühsam auf den Weg.
    Zwei Minuten nach neun steckte Ratamo zwei Fünfmarkmünzen in den Schlitz des Telefons, wählte die Handynummer seiner Frau und hoffte inständig, daß Nelli in Sicherheit war.
    »Hier Arto. Wie geht es Nelli? Wo seid ihr?«
    »Es geht uns beiden ganz gut. Ich habe es genauso gemacht, wie du gesagt hast, und wir sind jetzt in der Hütte der Heinonens. Kannst du schon erzählen, worum es bei alldem geht? Im Radio war nichts über diese Morde zu hören. Arto, mein Lieber, ist Kaisa tatsächlich tot, oder war das irgendein schrecklicher Irrtum?« In Marketta Julins zitternder Stimme klang die Hoffnung durch. Sie vermochte einfach nicht zu glauben, daß ihre Tochter tot war.
    Ratamo hätte beinahe vor Freude gejubelt, Nelli war also in Sicherheit. Er beherrschte sich jedoch.
    »Leider ist Kaisa wirklich tot. Das ist wahr und endgültig. Ich habe gesehen, wie sie erschossen wurde, und die Polizei hat bestätigt, daß sie gestorben ist. Es tut mir leid, aber du betrügst dich selbst, wenn du noch weiter Hoffnungen hegst.« Ratamo versuchte so viel Mitgefühl zu zeigen, wie er es unter diesen Umständen konnte. Markettas einziges Kind war tot. Ihre Trauer mußte furchtbar sein. Ratamo hoffte, daß er ihr irgendwann in der Zukunft eine Stütze sein könnte. Das war er seiner Schwiegermutter schuldig.
    Marketta seufzte und schwieg einen Augenblick. Ihr Interesse an weiteren Fragen war verflogen. »Ich habe Nelli gesagt, daß Mutter und Vater später hierherkommen. Sie geht gerade ins Bett, willst du mit ihr sprechen?« fragte Marketta niedergeschlagen.
    |222| »Natürlich«, erwiderte Ratamo und hielt den Atem an.
    »Vati, ich habe ein Bild für dich gemalt. Wann kommst du?« fragte Nelli fröhlich.
    »Dein Vater ist noch in der Stadt und kommt etwas später. Habt ihr es schön da mit Oma?« Ratamo bemühte sich, so normal wie nur irgend möglich zu klingen.
    »Oma hat mir Bonbons und Buntstifte gekauft.«
    »Na, das ist ja prima. Vergiß nicht, die Zähne zu putzen, bevor du ins Bett gehst.« Ratamo spürte, wie seine Augen feucht wurden.
    »Jaja. Kommst du mit Mutti bald hierher?«
    »Wir kommen, sobald wir können, aber bis dahin bist du schön artig und lieb zu Oma, ja?«
    »Ja. Oma liest mir eine Gutenachtgeschichte vor, weil du nicht da bist.«
    Ratamo wollte das Gespräch beenden, damit Nelli nicht bemerkte, wie schwer es ihm fiel, die Fassung zu wahren.
    »Mein Schatz, gib Oma noch mal das Telefon.«
    »Küßchen, Küßchen, Vati«, sagte Nelli mit ihrer süßesten Kinderstimme. Das hätte Ratamo fast das Herz gebrochen. »Hallo, Arto?« Marketta klang jetzt schon etwas gefaßter.
    »Von wo rufst du an? Ist zu Kaisas Mord irgend etwas herausgekommen?«
    Ratamo war noch so gerührt, daß er sich auf die Lippe beißen mußte, damit man seiner Stimme nichts anmerkte. Er sagte Marketta, er befinde sich in Helsinki und sei wohlauf. Über den Mord wisse er nichts Neues, aber seine Lage sei etwas besser geworden, denn er habe Kontakt mit einer Journalistin aufgenommen, und die habe versprochen, ihm zu helfen. Ratamo bat um Entschuldigung, daß er am Telefon nicht alles, was passiert war, erzählen konnte, das würde eine Stunde |223| dauern. Er versprach, am nächsten Morgen wieder anzurufen, wiederholte aber zweimal, daß nicht sicher war, ob es möglich sein würde. Er wollte verhindern, daß Marketta etwas Unüberlegtes tat, wenn er aus irgendeinem Grunde doch nicht telefonieren konnte. Auch jetzt war er nur mit viel Glück zum Anrufen gekommen. Am Ende betonte er noch einmal, wie sehr ihm alles leid tat, und dankte Marketta aus ganzem Herzen dafür, daß sie Nelli in ihre Obhut genommen hatte.
    Marketta bat Ratamo, er solle auf sich aufpassen, und beendete das Gespräch.
    Diese Ermahnung seiner Schwiegermutter hörte er nicht gern. Natürlich war er gezwungen, zu überleben, wegen Nelli. Er war sich schmerzlich bewußt, wieviel der Verlust der Mutter für ein kleines Kind bedeutete, und wollte nicht einmal daran denken, daß seine Tochter mit sechs Jahren zur Waise werden könnte. Er würde alles tun, um diesen Albtraum zu überstehen und sich danach um Nelli kümmern zu können.
    Ratamo benutzte in der nahe gelegenen Tankstelle die Toilette und ging dann zum Taxistand in der Säterintie.
    Beim Warten auf ein Taxi überlegte er, welche gewaltigen Veränderungen es in seinem Leben nach dem Ende dieses Albtraums gäbe – wenn

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