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Finnisches Blut

Finnisches Blut

Titel: Finnisches Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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umfangreichen Vollmachten im Gesetz über die Gegenspionage von 1995 und das ökonomische und politische Chaos in dem Land, das immer noch eine Großmacht war, gaben dem FSB, dem Nachfolger der für die Gegenspionage zuständigen Zweiten Hauptverwaltung des KGB, seine alte Machtstellung zurück. Der Haupterbe der Aufgaben des KGB kümmerte sich um den Kampf gegen die Kriminalität und um die Gegenaufklärung und übernahm mit Zustimmung des SVR Aufgaben der Auslandsaufklärung. |218| Der FSB hatte auch die berüchtigtsten Institutionen aus der Zeit des KGB, wie das eigene Gefängnis und die Untersuchungsabteilung, zurückerhalten.
    Den SVR hingegen liebte Sterligow. Seine Entstehung aus den Trümmern der für die Auslandsaufklärung zuständigen Ersten Hauptverwaltung des KGB am Ende der Gorbatschow-Ära war für den eingeschworenen KGB-Mann die Erfüllung aller Träume gewesen. Er hatte schon geglaubt, sein Arbeitsplatz und seine Zukunft würden mit der Demokratisierung Rußlands und der darauffolgenden Aufsplitterung des KGB zerstört. In seiner Struktur blieb der SVR fast unverändert, und in der Arbeit wurde er im Vergleich mit seinem Vorgänger sogar aktiver. Seine Situation war in vieler Hinsicht anders als zu den Zeiten der Auslandsaufklärung des KGB. Es war leichter, Leute zu rekrutieren, da jetzt als Motiv allein das Geld diente und nicht der Wettstreit zwischen den Ideologien. Die Einstellung zum SVR war in Rußland bedeutend positiver als früher in der Sowjetunion zum KGB. Der SVR wurde offen finanziert, und man lobte seine Bemühungen um eine Beruhigung der Lage in Rußland.
    Endlich wurde der im Samowar gekochte russische Tee gebracht. Der Duft war himmlisch. Sterligow löffelte reichlich Zucker in das Glas, rührte und schlürfte die dampfende Flüssigkeit. So einen Nektar bekam man in Finnland nicht.
    Seine Gedanken kehrten zu Ratamo zurück. Die Flucht war von glücklichen Umständen begünstigt worden. Der Mann hatte den Eindruck gemacht, als wäre er genau so ein Feigling wie die anderen Finnen auch. Sterligow hatte von seinem weißmeerkarelischen Vater den Haß auf Finnland geerbt. Der war wegen seiner finnischen Herkunft nach dem Krieg von einem Arbeitslager ins nächste gebracht worden, bis er selbst seinem |219| Leben ein Ende setzte. Die Finnen hatten nicht gewagt, etwas gegen die Behandlung ihrer Stammesbrüder zu unternehmen. Nach Sterligows Auffassung schuldete Finnland seinen ganzen Wohlstand der Sowjetunion, deren Geld das kleine Land mit Hilfe politischer Spiele und des Clearing-Handels in der ganzen Nachkriegszeit ungeniert abgesaugt hatte. Finnland war allzu selbstsicher, zu stolz und zu wohlhabend. Er hätte dem Land schon während des kalten Krieges gern eine Lektion erteilt. Der Mythos von den ausdauernden und willensstarken finnischen Männern war seiner Meinung nach nur noch Angeberei in einem Land, das so amerikanisch war wie kein anderes. Vielleicht könnte er das jetzt, unter dem neuen Regime, beweisen.

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    Ratamo atmete gierig die frische Luft ein und versuchte den stinkenden Verhörraum zu vergessen. Schon fast zwanzig Minuten war er im Licht der Abendsonne auf kleinen Wegen durch Pukinmäki spaziert, um sich zu beruhigen und wieder klar denken zu können. Er hatte immer noch Angst, war jetzt aber imstande, mit Marketta und Nelli zu sprechen. Der Akku des Handys hatte den Geist aufgegeben, deshalb wollte er von der Telefonzelle neben dem Bahnhof anrufen. Pirkko Jalava hatte offensichtlich vergessen, das Telefon aufzuladen, oder die Akkus älterer Mobiltelefone entluden sich von allein in neun Stunden.
    An dem einen Handgriff eines Rollators, der vor der Telefonzelle stand, hing die Leine eines Hundes, am anderen vollgepackte Plastiktüten. Eine kleine Oma rief etwas in den Hörer. Ratamo verstand, daß sie sich erkundigte, wie es ihrem Sohn ginge. Er bückte sich und streichelte den Hund, einen Mischling mit verschmitztem Gesichtsausdruck. In seinem Fell war schon viel Grau zu sehen. Ratamo empfand Mitleid. Mußte die Oma mühselig bis zur Telefonzelle fahren, um ihr Kind anzurufen? Wie konnte jemand seine Mutter so ihrem Schicksal überlassen? Vielleicht hatte der Sohn nicht das Geld, sich um seine Mutter zu kümmern. Ratamos Gewissen meldete sich. Vor lauter Streß hatte er in den letzten drei Wochen keine Zeit gehabt, seine Oma zu besuchen. Sonst schaute er meist jeden Sonnabend bei ihr vorbei.
    |221| Als die alte Frau ihr Gespräch beendete, half Ratamo ihr aus

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