Finnisches Blut
mußte die erste |283| Rate von Hand zu Hand und bar übergeben werden. Er fragte sich voller Unruhe, ob diese Entscheidung richtig war.
Was geschah, wenn der Käufer die zweite Rate nicht zahlte, obwohl er sich vergewissert hatte, daß nur er über das Gegenmittel verfügte? Durfte er Terroristen vertrauen? Laut Ketonen hatten die Kaufkandidaten bisher ihre Verträge über Waffengeschäfte eingehalten, und das Geld, um den ganzen Preis zu bezahlen, besaßen sie. Ein Betrug käme den Waffenhändlern zu Ohren und würde künftige Waffenkäufe verhindern. Und wenn Ketonen nun schon beim Aufstellen der Liste von seinem Plan gewußt und ihn absichtlich in die Irre geführt hatte?
Und warum hatte Vairiala Ratamo immer noch nicht gefunden? Lag das daran, daß er unfähig war, oder hatte der Mann ihn verraten.
Würde Sergej selbst die Formel für das Gegenmittel aus Ratamo herauspressen?
Vielleicht hatten sich alle gegen ihn verschworen. Dann würde jeder die Wahrheit erfahren, die er schon kannte: Raimo Siren ist ein Landesverräter. Ein finnischer General hat eine Massenvernichtungswaffe an die Tschetschenen verkauft. Schlimmstenfalls würden die Tschetschenen in Rußland ein völliges Chaos anrichten. Vielleicht müßte Finnland Truppen an die Grenze verlegen. Er würde der meistverachtete Finne der Geschichte werden, der seine Seele für Geld verkauft hatte …
Angst, Verzweiflung und Wahnvorstellungen explodierten in Sirens Kopf wie eine Granate. Er stürzte zu der Dose mit dem Diapam und stopfte einige Pillen in den Mund. Noch knapp sieben Stunden. Dann würde er das Geld bekommen, sich in Sicherheit bringen, keinen Alkohol mehr trinken und keine Medikamente mehr nehmen und seine Tochter anrufen, überlegte Siren, ehe er in die Dunkelheit hinabstürzte.
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Jussi Ketonen war eingenickt und schreckte hoch, als ihm der Kopf ins Genick fiel. Sein Rücken schmerzte, und er beschloß, aufzustehen und sich die Beine zu vertreten. Musti lag in ihrem Korb und rührte sich nicht.
Vairialas Überheblichkeit beim Verhör brachte ihn immer noch in Rage. Und es machte ihn nervös, herumzusitzen und darauf zu warten, daß das Telefon klingelte und Vairiala nüchtern wurde, während irgendwo ein Doppelmörder mit dem Killervirus frei herumlief.
Der kleine Spaziergang sorgte dafür, daß er sich ein wenig beruhigte. Früh um fünf Uhr herrschte auf dem Flur im vierten Geschoß eine gespenstische Stille. Angesichts der feierlichen Würde des alten Gebäudes sah er sich und auch die Sicherheitspolizei immer noch als Bestandteil einer langjährigen Tradition. Er hatte den Status der SUPO von Anfang an genossen. Bis zum Ende der Kekkonen-Ära war sie als die Präsidentenpolizei bekannt. Auch heute noch besaß sie eine Sonderstellung, da sie direkt dem Präsidenten und dem Leiter der Abteilung Polizei im Innenminsterium unterstellt war, ohne aktive Kontrolle von außen. Gerade das gefiel Ketonen, der die Macht genoß, die ihm sein Amt als Chef verlieh.
Ketonen kehrte in sein Zimmer zurück und zündete sich eine Zigarette an. Er betrachtete die Fotos seiner Vorgänger, die in chronologischer Reihenfolge an der Wand hingen. Bald |285| würde auch von seinem Lebenswerk nichts anderes übrig sein als ein Schwarzweißfoto an der Wand im Chefzimmer. Wie würde man seine Zeit als Chef der SUPO im nachhinein beurteilen? Jedenfalls kaum als die schlechteste, überlegte er. Diese Ehre gebührte Arvo Pentti. Er war von 1972 bis 1978 Chef der SUPO. Am Anfang seiner Zeit wurde zwischen dem KGB und der SUPO ein mündliches Gentlemen’s Agreement über Informationsaustausch und sonstige Zusammenarbeit abgeschlossen. Damit sollten alle Fragen im Zusammenhang mit der Ausweisung entlarvter Agenten den Außenministerien übertragen werden. Das Abkommen hatte der Glaubwürdigkeit der SUPO einen schweren Schlag versetzt. Das einzige, was er Arvo Pentti als Verdienst anrechnete, war, daß seit dessen Amtszeit der Chef der SUPO dem Präsidenten direkt Bericht erstattete. Das gab der SUPO, verglichen mit der sonstigen Polizei, eine beträchtliche Handlungsfreiheit. Ab 1978 war Seppo Tiitinen Chef gewesen, in der Zeit war die Verbrüderung mit der Sowjetunion glücklicherweise zu Ende gegangen, als sich das politische Klima allmählich geändert hatte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war endlich die Zeit der Öffnung gekommen, zunächst unter Leitung von Eero Kekomäki und dann unter seiner Führung.
Der rechte Mann am rechten Platz, das
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