Finnisches Blut
Zeiger seiner Armbanduhr zeigten drei Uhr nachts, als das Fax ein Pfeifen von sich gab und das grüne Licht blinkte. Siren griff nach dem ausgegebenen Papier und mußte seine ganze Willenskraft aufbieten, um es nicht mit Gewalt aus dem Gerät herauszureißen.
Es gab nur zwei Angebote. Siren las zuerst die Anzahl der Rosen. Das Angebot der Neuen Befreiungsfront Tschetscheniens lag bei hundertzehn Millionen Dollar und das der Tamilen-Tiger bei vierzig Millionen Dollar. Warum hatte Jihad überhaupt kein Angebot abgegeben? Das Angebot der Tschetschenen war geradezu eine Beleidigung. Die Massenvernichtungswaffe war sehr viel mehr als eine reichliche halbe Milliarde Finnmark wert. Die erste Rate von fünf Prozent würde jedoch immerhin dreißig Millionen Finnmark betragen. Das reichte, um seine Minimalforderungen zu befriedigen – gerade so.
Nachdem er eine Antwort auf die wichtigste Frage erhalten hatte, las Siren das Fax genauer. Zu seiner Überraschung befand |281| sich in dem Angebot der Tschetschenen noch mehr Text als nur die Anzahl der Rosen: »Kaufbedingung: Übergabe des Killervirus auf dem Trafalgar Square, 03.30 Uhr (GMT) vor dem Nelson-Denkmal.«
Siren starrte das Fax entgeistert an. Warum zum Teufel wollten die Tschetschenen die Blutröhrchen auf dem Platz, auf dem es vor Menschen nur so wimmelte? Hatten sie den Verdacht, daß man ihr Büro überwachte? Er mußte sich sofort entscheiden, ob er die Bedingung annahm. Das Angebot der Tamilen war so gering, daß die erste Rate nur etwa zehn Millionen Finnmark brächte. Das würde nicht für die Flucht rund um die Welt und ein lebenslanges Dolce Vita reichen. Und was interessierte es ihn schon, wo diese verdammten Viren übergeben wurden. Er beschloß, auf die Bedingungen einzugehen.
Es klingelte. Siren nahm die Kühlbox vom Schreibtisch und den Briefumschlag mit der Annahme des Angebots und den Anweisungen für die Zahlung der ersten Rate. Vor der Tür stand ein stämmiger Inder, der sich in die Uniform eines Chauffeurs gezwängt hatte.
»Sie sind vier Minuten zu spät da«, sagte Siren mit ernster Miene. Abends hatte er an der Rezeption einen Fahrer für drei Uhr nachts bestellt. Es war ein Risiko, einen unpünktlichen Mann mit solch einer wichtigen Aufgabe zu betrauen.
Der junge Mann war wegen Sirens Pedanterie verwirrt, lächelte aber höflich und entschuldigte sich dann wortreich in seinem Englisch mit indischem Akzent.
Siren bot ihm eine Prämie von fünfhundert Pfund, wenn er den Briefumschlag und die Kühlbox bis halb vier überbrachte.
Der Chauffeur überlegte kurz. Sein Mund verzog sich zu einem fröhlichen Lächeln: Er wollte versuchen, sich das Honorar zu verdienen, und sagte, er werde es rechtzeitig schaffen, |282| dann bedankte er sich und machte kehrt, um zu gehen, aber Siren rief ihn zurück. Der Fahrer mußte genau zuhören, als Siren ihm seine Anweisungen gab und ihm befahl, die Kühlbox so zu halten, daß man sie sehen konnte, und sie mit dem Brief der Person zu übergeben, die darum bitten würde. Nach der Übergabe sollte er eine Nummer anrufen, die Siren auf einen Zettel geschrieben hatte.
Als der Inder verschwunden war, ging Siren ins Schlafzimmer und warf sich auf das riesige Doppelbett. Unter dem Gewicht des massigen Mannes wurden die Federn ganz nach unten gedrückt.
Die Angst ließ ihn nicht mehr los. Würde es ihm gelingen, die erste Rate zu erhalten? Er hatte sich den Kopf zerbrochen, welche Möglichkeiten es gab, das Geld abzuholen, aber ihm war nur ein idiotensicherer Weg eingefallen, bei dem er sich selbst nicht gefährdete: Er mußte jemand anders damit beauftragen. Doch dazu war er nicht bereit. Er wollte nicht, daß seine Millionen auch nur einen Augenblick lang in fremden Händen waren. Am liebsten hätte er die erste Rate auf ein Konto überweisen lassen und den Kontakt mit dem Käufer vermieden, aber das wagte er nicht. Wenn die Polizei ihm auf der Spur war, würde sie die Banken auffordern, sofort zu melden, sobald jemand große Summen in bar abhob. Die englischen Nachrichtendienste hatten ohnehin ihre Mittel zur Überwachung des Zahlungsverkehrs der Banken. Er hätte natürlich den Käufer bitten können, die erste Rate auf mehrere Konten einzuzahlen, die er bei verschiedenen Banken eröffnen müßte, und zwar in kleinen Summen, die beim Abheben nicht auffallen würden. Doch dann hätte er eine Woche gebraucht, um die Konten zu eröffnen und eine zweite, um das Geld bei verschiedenen Banken abzuheben. Deswegen
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