Finnisches Blut
Pirkkos Bett mit dem Kopf auf ihrer Schulter zu liegen. Sie benutzte kein Parfüm, und der Duft ihrer Haut wirkte angenehm und erregend. Pirkkos dichte nußbraune Haare bedeckten die Kissen.
Was würde Pirkko wohl über die gemeinsam verbrachte Nacht denken, wenn sie aufwachte? Vielleicht hielt sie es für einen Fehler. Ratamo räkelte sich vorsichtig. Seine Muskeln waren steif, zum Teil sogar eingeschlafen. So erging es ihm immer, wenn er todmüde war und sich beim Schlafen nicht hin und her drehte.
»Guten Morgen, du Wilder«, sagte Pirkko scherzhaft. »Du |292| warst ja heute nacht mit so viel Eifer bei der Sache wie ein Teenager.«
»Freude ohne Schnaps ist Sex«, erwiderte Ratamo und küßte sie zärtlich. Die Frau widersetzte sich nicht – im Gegenteil. Nur zögernd löste sich Ratamo von Pirkkos Mund.
»Vielleicht ist es besser, wenn wir nicht noch weiter gehen, bevor bei dir alles in Ordnung ist«, entgegnete Pirkko.
Ihr plötzlicher Stimmungswandel überraschte Ratamo. »Na, also viel weiter kann man wohl nicht mehr gehen. Aber meine Angelegenheiten müssen geklärt werden, und zwar bald, in der Frage bin ich der gleichen Meinung.« Er überlegte, ob er erzählen sollte, daß seine Ehe nur noch reine Fassade gewesen war. Doch er entschloß sich, erst darüber zu reden, wenn er seine Bedrängnis überwunden hatte und sich auf Pirkko konzentrieren konnte. Er wollte einfach glauben, daß auch dieser Augenblick käme und wieder ein normales Leben beginnen würde.
Pirkko schaute kurz auf den Wecker und sprang aus dem
Bett: »O nein. Ich habe in einer Viertelstunde ein Treffen. Nun komme ich wieder zu spät. Mach dir was zum Frühstück.«
Ratamo suchte eine Weile in den Küchenschränken herum, schaltete die Kaffeemaschine ein, steckte zwei Weißbrotscheiben in den Toaster und schlug drei Eier in die Pfanne. Er breitete die Zeitung vom Freitag auf dem Küchentisch aus und verschlang das Rührei im Handumdrehen. Ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten war er schon früh hungrig, vermutlich wegen der wilden Nacht. Da entdeckte er eine Werbung für Kinderbekleidung und hielt inne. Das kleine Mädchen auf dem Foto sah aus wie das leibhaftige Ebenbild von Nelli. Er beschloß, seine Schwiegermutter anzurufen, während Pirkko noch ihr Haar fönte.
|293| Mit dem Handy von Pirkko, das jetzt aufgeladen war, hatte er noch nicht angerufen, deshalb wollte er jetzt testen, ob es im Ernstfall funktionierte.
Marketta Julin meldete sich sofort. »Hat sich schon etwas geklärt? Hast du von dem Mord an Kaisa etwas Neues gehört? Wo bist du?« fragte seine Schwiegermutter besorgt.
Da Ratamo nun ausgeruht war, hörte er sich optimistischer an. Er sagte, die Lage sähe jetzt schon besser aus. Die Reporterin habe bereits etliches herausbekommen, und er glaube, daß er sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte, wenn die Zeitungen die Sache veröffentlichten. Zumindest hoffe er, mit Nelli zusammen sein zu können, bis das ganze Durcheinander öffentlich geklärt wäre.
»Und wann wird der Artikel veröffentlicht?«
»Sobald wie möglich. Die Reporterin muß für meinen Bericht nur ausreichend Beweise finden, damit die Abendzeitungen es wagen, ihn zu drucken.«
Als Ratamo im Hintergrund Nellis Stimme hörte, fragte er ungeduldig, ob er mit ihr reden könne.
»Hallo Vati. Wo bist du?« sagte Nelli so fröhlich und unbekümmert, daß ihr Vater die Augen schließen mußte.
Ratamo freute sich, daß Nelli glücklicherweise von all dem Schlimmen, das geschehen war, nichts wußte. »Vati ist noch in der Stadt, aber wir sehen uns bald. Vielleicht schon morgen.«
»Kommt Mutti auch?«
»Mal sehen.« Ratamo spürte einen stechenden Schmerz im Bauch. »Was hast du mit Oma zusammen gemacht?«
»Beeren gesammelt. Hier gibt es unheimlich viele Blaubeeren. Ich backe mit Oma zusammen Blaubeerkuchen«, antwortete Nelli und juchzte.
Ratamo sehnte sich so sehr nach seiner Tochter, daß es weh |294| tat. Er wollte nicht länger reden, damit Nelli nicht bemerkte, daß ihr Vater sich Sorgen machte. Er wußte aus seiner eigenen Kindheit, wie leicht sich die Angst der Eltern auf das Kind überträgt.
»Viel Spaß mit Oma, mein Schatz. Ja?«
»Jaja. Küßchen, Küßchen«, rief Nelli ins Telefon.
Ratamo antwortete und mußte dabei die Zähne zusammenbeißen, er hörte, wie seine Schwiegermutter das Telefon nahm. Er hatte Marketta nichts mehr zu erzählen und versprach ihr, daß er am Abend wieder versuchen würde anzurufen.
War er seiner
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