Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Verlängerung gewährt. Zu seiner Überraschung hatte er das Gefühl, seiner Verfolgerin Dank zu schulden.
Die Panik ließ jedoch noch nicht nach. Die Frau hatte wahrscheinlich nicht geschossen, weil sie dann gezwungen gewesen wäre, seine Taschen mitten auf einer verkehrsreichen Straße zu untersuchen. Vermutlich wollte sie ihn in dem Haus abfangen.
Ratamo stürzte zur Tür des Dachbodens, raste die Treppen hinunter und stürmte auf den Innenhof hinaus. Eine niedrige Ziegelmauer trennte die Höfe der Häuser voneinander. Er kletterte über die Mauer und raste durch den nächsten Torweg auf die Abrahaminkatu. Der Frau würde nicht sofort klar werden, dass er hier war. Er sprintete auf der Straße bis zum Bulevardi, rannte zur Albertinkatu und von dort auf die Iso-Roobertinkatu. Dann blieb er stehen, beugte sich vor und schnappte nach Luft.
Als er wieder ruhiger atmen konnte, bemerkte er, dass er vor dem Wohnhaus seines ehemaligen Schuldirektors stand. Eine absurde Erinnerung tauchte auf. Er und Himoaalto hatten in der neunten Klasse in Eiswürfelbeutel uriniert, das Ganze eingefrostet und dem Schuldirektor die Pisswürfel in den Briefkasten geworfen. Die Rache dafür, dass sie nicht zu einem Eishockeyspiel fahren durften, war Himoaaltos Idee gewesen, aber erwischt hatte man nur ihn.
Er hörte das klopfende Geräusch eines Dieselmotors, sah am westlichen Ende der Straße den Peugeot Kombi und stieg ein.
Der Fahrer kannte die Adresse.
51
Der dunkelhaarige Mann um die Dreißig in dem Peugeot hielt auf einem schmalen, stockfinsteren Waldweg an und befahl Ratamo auf Englisch auszusteigen. Sie waren am Zentrum von Nurmijärvi vorbei und dann noch ein ganzes Stück auf kleinen Straßen und Schleichwegen in Richtung Norden gefahren. Das nächstgelegene Haus musste mehr als einen Kilometer entfernt sein, nahm Ratamo an. Dennoch war Helsinki noch ziemlichnah, kaum dreißig Kilometer weit weg. Wie könnte er Ketonen seine Position mitteilen? In einer halben Stunde wäre die SUPO hier.
Auf dem Weg hierher hatten sie irgendwo in Nord-Vantaa an einer verlassenen Kiesgrube angehalten, und Ratamo musste sich ausziehen. Es war erniedrigend gewesen, als der Mann im hellen Licht der Halogenscheinwerfer des Autos jeden Winkel seines nackten Körpers untersucht und auch mit einem Scanner geprüft hatte. Ratamo kannte das Gerät »Bodysearch«, er hatte es bei der SUPO gesehen. Sein Röntgenstrahl mit geringer Leistung drang ein paar Millimeter unter die Haut und fand dort versteckte Sender. Schließlich hatte sich Ratamo wieder neue Sachen anziehen müssen. Der Fahrer bekam einen Wutanfall, als er in dem ausgezogenen Mantel und der Hose neben den Unterlagen auch Riitta Kuurmas Rosario und die Kautabakdose fand. Er hatte sich aber wieder beruhigt, als sich herausstellte, dass darin kein Sender versteckt war. Den Rosenkranz und den Kautabak hatte er in die Kiesgrube geworfen und Ratamos Proteste ignoriert. Das Telefon von Sterligow landete im Handschuhfach. Alle Details waren sorgfältig geplant, jedes Risiko eliminiert.
Im Laufe der Nacht hatte der Frost zugenommen. Der Atem dampfte, und die tagsüber geschmolzene oberste Schneeschicht war vereist und knirschte, als die beiden Männer auf dem Waldweg durch die Dunkelheit stapften. Der Fahrer lief hinter Ratamo, in einer Hand hielt er seine Waffe, in der anderen eine Taschenlampe.
Während der Fahrt hatte Ratamo fieberhaft nachgedacht, wer hinter dem Überfall im Zentrum stecken könnte. Der Mann von Swerdlowsk hatte nichts dazu gesagt, sondern nur gefragt, wie die Frau aussah. Ratamo tippte auf die Chinesen, aber weshalb war der Versuch so dilettantisch gewesen. Warumsollte Guoanbu ihm eine Frau hinterherschicken und kein erfahrenes Kommando? Der Vorfall hatte jedoch auch bestätigt, dass es Sterligows Männern gelungen war, Loponen abzuschütteln. Er war jetzt allein wie ein Steppenwolf.
Als er sich nach dem Überfall retten konnte, hatte er für eine Weile die Angst vergessen, aber jetzt packte sie ihn erneut wie ein Migräneanfall. O verdammt, auf was für einen Wahnsinn hatte er sich da eingelassen? Er war auf dem Weg in den sicheren Tod; zu einem Mann, der vor anderthalb Jahren seine Tochter entführt hatte und jetzt Tommila gefangen hielt. Würde Sterligow ihn und Tommila freilassen, wenn er die Unterlagen bekommen hatte? Sein Instinkt warnte ihn. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Angst in ihm war wie ein schwarzer Klumpen, der immer größer wurde. Er musste sich
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