Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
verlieren. Das Geschrei verstummte.
Tommila schnappte nach Luft, schluchzte ein paarmal und hörte dann auf zu weinen. Vielleicht gab es für ihn noch Hoffnung. Vielleicht würde die SUPO ihn retten. Dann begriff er, dass er für den Geier ein Tauschobjekt war und nötigenfalls ein lebender Schutzschild im Kugelhagel, und ihm entfuhr ein kurzes Wimmern. Sterligow holte aus der Tasche des Schafspelzmantels die Pillendose und steckte sich zwei Methadon in den Mund. Der Gefangene brauchte sie nicht mehr. Sterligow fühlte sich nicht gestresst, aber die Ungewissheit machte ihn unruhig. Er war daran gewöhnt, dass die Dinge so abliefen, wie er es wollte. Alle Dinge. Doch jetzt gab es in seinen Plänen einen Unsicherheitsfaktor: den »Hund«. Der könnte ihm zuvorkommen und die National Bank ausrauben. Natürlich überwachten seine Männer Wiremoney ständig. Sollte es geschlossen werden, hatte der »Hund« zugeschlagen.
Der Zigarrenrauch schwebte wie eine Wolke in der kalten Luft. Sterligow versuchte sich zu beruhigen und schaute auf die Uhr. Es war kurz vor zehn. In ein paar Stunden würde er verschwinden wie Atlantis und irgendwo in einer warmen Gegend mindestens eine Woche ausruhen. Beispielsweise in der Karibik. Auf Antigua gab es alles, was die Natur zu bieten hatte. Und wasman mit Geld bekommen konnte. Doch jetzt war erst ein kurzes quälendes Warten an der Reihe, und anschließend ein paar Hinrichtungen, die er genießen könnte. Seine Helfer würden Ratamo in die Hütte bringen, sobald sie sich vergewissert hatten, dass der Mann sauber war und ihnen niemand mehr folgte. Ratamo würde mit Tommila zusammen sterben. Und wenn dann noch der »Hund« auf die Eisbahn von Brahe käme, wäre alles an seinem Platz. Sollte der Verräter nicht erscheinen, würden alle Inferno-Verantwortlichen liquidiert, sobald seine Experten die Echtheit des Passwortes bestätigten, das Ratamo gebracht hatte. Anna-Kaisa Holm stellte für den Raub keine Bedrohung mehr dar. Zu gegebener Zeit würde man sie finden und töten.
Sterligow wusste, dass er viel riskierte, aber er hatte keine Alternative. Außer dem Abbruch der Operation. Das würde ihm Orel nicht verzeihen.
Und er wollte in den Augen von Finnen nie wieder als Verlierer dastehen.
50
Eine Gruppe von Teenagern zog vor dem Hotel »Helkka« an Ratamo vorbei in Richtung Hietaniemi, in ihren Plastikbeuteln klirrte es. Mussten die Minderjährigen auch heutzutage noch bei dem Frost draußen bibbernd herumstehen, wenn sie sich Mut für den Abend antranken, fragte sich Ratamo verwundert.
Er ging auf der Fredrikinkatu zur nahe gelegenen Metrostation Kamppi, fuhr bis zur Endstation Ruoholahti, wartete einen Augenblick auf dem Bahnsteig und stieg dann in den Zug nach Osten ein. Trotz des Frostes waren am Samstagabend noch viele Leute unterwegs.
Das Handy klingelte kurz vor dem Bahnhof Kaisaniemi;man befahl ihm, in den Zug umzusteigen, der in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Wie konnte der Anrufer wissen, dass die Metrozüge in Kaisaniemi zur gleichen Zeit hielten? Innerhalb der nächsten Viertelstunde musste er noch zweimal auf verschiedenen Bahnhöfen in der gleichen Weise den Zug wechseln. Schließlich erhielt er die Anweisung, in Hakaniemi auszusteigen, mit dem Aufzug allein nach oben zu fahren und während der Fahrt den Notschalter zu betätigen.
Auf dem Fußboden des Fahrstuhls lag ein Bündel Sachen. Ratamo setzte eine Brille mit breitem Gestell auf, zog einen langen grauen Übergangsmantel an und drückte sich einen schwarzen Schlapphut auf den Kopf. Er schaute den Mann an, der ihn aus dem Spiegel des Aufzugs anstarrte, und lächelte unwillkürlich. Niemand würde ihn auf den verschwommenen Bildern der Überwachungskameras erkennen. Er legte den Notschalter wieder um und trat hinaus, als sich die Türen öffneten. Es war genau 23.00 Uhr.
Loponen hatte ihm ganz sicher nicht folgen können, jedenfalls nicht so, dass es die Entführer Tommilas nicht bemerkt hätten. Auch das dritte, das letzte Auffangnetz war verschwunden.
Er war wieder allein auf dem Weg zu einem Treffen mit Igor Sterligow. Jetzt spürte er die Angst ganz tief in seinem Inneren. Er ging unbewaffnet und freiwillig zu einem kaltblütigen Killer. War er mutig oder dumm?
Ratamo zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Er bekam die Anweisung, bis zum Ende des Sinebrychoff-Parks an der Iso-Roobertinkatu zu gehen und in einen grünen Peugeot Kombi einzusteigen.
Irina kannte den Trick der Männer von
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