Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Sie konnte es kaum glauben, wie knapp sie der Verhaftung entgangen war. Das ließ sie erschauern, erregte sie aber auch. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie den jungen Grenzpolizisten umarmt: Ohne es zu wissen, hatte er ihr eine Zukunft geschenkt.
Sie schreckte hoch, als es knallte. Anna-Kaisa stand vor ihr und hatte zwei Sektgläser aus Kunststoff in der Hand.
»Auf das Wohl der Siegerin!«, sagte sie.
Pauliina Laitakari trank auf ihren totalen Sieg. Und auf all die Vorgesetzten, diese Idioten, die nicht zugelassen hatten, dass sie in ihrer Karriere weiter vorankam, obwohl sie das Spiel der Männer mitgespielt hatte, nach den Regeln der Männer und besser als sie.
»Make-up, Kleidung, Brille und Perücke liegen im Bad«, sagte Holm, als die Gläser leer waren.
Ungeduldig wartete sie, während Pauliina ihr Äußeres veränderte. Sie betrachtete sich selbst im Spiegel und fuhr mit der Hand über ihren Kopf. Das pechschwarze ganz kurz geschnittene Haar stand ihr besser als der blonde Bubikopf. Die Allergiepickel, die sie seit Zürich plagten, waren immer noch nicht verschwunden. Sie freute sich, dass nun auch Pauliina fliehen musste, obwohl Waisanens E-Mail ihre eigene Zukunft genauso gefährdete. Doch sie hatte schon nach einer knappen Woche die Warterei in Tallinn sattgehabt. Die Luft in der Stadt war derart belastet, dass sich ihr Asthma verschlimmert hatte.
Wie sehr sie Pauliina brauchen würde, hatte sie erst nach dem Mordanschlag des Killers von Swerdlowsk erkannt. Pauliina war die Erste gewesen, der sie sich anvertraut hatte, als sie von den finanziellen Schwierigkeiten ihrer Schwester erfuhr. Damals konnte Pauliina ihr kein Geld leihen, aber sie hatte versprochen, dass Anna-Kaisa an etwas teilhaben könnte, das in der Zukunft Millionen bringen würde. Ihre Aufgabe war es gewesen, zu berichten, wenn die Polizei Wind von dem Inferno-Verbrechen bekäme. Und das hatte sie auch getan.
Nachdem sie im letzten Sommer eingewilligt hatte, Pauliinas Gehilfin und Komplizin zu werden, hatten sie über Chatgroups im Internet Kontakt gehalten. Der Besuch bei Finn Security und das Verhör Pauliinas waren für sie eine enorme Belastung gewesen: Sie besaß kein schauspielerisches Talent. Vielleicht würde man in der SUPO herausfinden, dass Pauliina während der Studienzeit ihre beste Freundin gewesen war. Das würde bei Ketonen sicher etliche Fragen aufwerfen, so wie auch ihr Verschwinden, aber beide Fakten würden nichts beweisen. Sterligow war tot, und sie würde man nie erwischen. Die Freude, alles überstanden zu haben, unterdrückte jedoch nicht das Gefühl der Trauer und der Scham. Sie schämte sich, dass sieKetonens Vertrauen enttäuscht hatte, und sie war traurig, dass sie ihre Familie jahrelang nicht sehen würde.
»Zeig mir die Pässe!«, rief Pauliina Laitakari aus dem Bad.
»Die sind erstklassig! Besser als die der SUPO. Niemand sucht nach einer Sirpa Lindholm oder Titti Kojo!«
Am frühen Nachmittag fuhren Lindholm und Kojo mit einem Mietwagen los. Ihr Ziel war die Via Baltica, dann der Flughafen von Riga und die Freiheit.
EPILOG
Ratamo spürte Riitta Kuurmas weiche Brust an seiner Schläfe. Er konnte sich nicht erinnern, jemals mit so einem angenehmen Gefühl aufgewacht zu sein, und musste lächeln. Dann betrachtete er die nussbraunen Haare und das Gesicht mit den feinen Zügen auf dem Kopfkissen und genoss den Augenblick an diesem Sonntagmorgen in dem dunklen Zimmer. Das massive Eichenbett, das er im Antiquitätengeschäft »Fasan« entdeckt hatte, war eine gute Investition gewesen, überlegte er. Holzstangen mit einem schönen dunkelblauen Vorhang verbanden die hohen Eckpfosten.
Seit dem Verschwinden von Pauliina Laitakari waren fast drei Wochen vergangen. Ratamo nahm nicht mehr an den Inferno-Ermittlungen teil, die auf der Stelle traten, aber er litt noch unter den Folgen: Er machte sich weiter Vorwürfe, weil er geschossen hatte, und musste mit ansehen, wie Himoaalto immer niedergeschlagener wurde: Man hatte ihn gefeuert.
Ratamo selbst war zum normalen Alltagsrhythmus zurückgekehrt: Er kümmerte sich um Nelli, übernahm Aufträge bei der SUPO und beschäftigte sich mit seinem Studium – das alles füllte seine Tage aus. An der Polizeifachhochschule hatten die Kurse in allgemeiner Rechtswissenschaft, Kommunikation und Polizeiethik begonnen. Den Sprachunterricht brauchte er nicht zu besuchen, zum Glück wurden die Kurse anerkannt, die er beim Medizinstudium absolviert hatte.
Riitta
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