Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Das waren die letzten Worte, die Irina Iwanowa hörte.
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In Aino und Johannes Tommilas gemütlichem Holzhaus, das in der Nachkriegszeit gebaut worden war, duftete es nach Kräutertee. Das Ehepaar hatte den Tisch gedeckt und bot seinem Gast einen Hefezopf, Boston-Gebäck und mehrere Sorten Kekse an. Riitta Kuurma biss ein Stück von einem Keks ab und betrachtete Aino Tommila ratlos. Ketonen hatte sie gewarnt, die Frau befände sich in einem Schockzustand. Aber die Wirklichkeit übertraf einmal mehr die Phantasie. Aino Tommila konnte jeden Moment völlig zusammenbrechen. Sie war nicht fähig, ihre Verzweiflung zu kontrollieren: Das Weinen brach ungehemmt aus ihr heraus, mal als reißender Strom, malals Serie von Schluchzern. Der Ehemann hielt ihre Hand und betrachtete sie, als wäre sie der letzte Pandabär.
Riitta Kuurma hatte in der Nähe über eine Stunde warten müssen, bis die Tommilas nach Hause gekommen waren. In der Hoffnung, dass Aina Tommila danach besser einschlafen könnte, hatten sie einen langen Abendspaziergang unternommen. Das Ehepaar war erschrocken gewesen, als es mitten in der Nacht an seiner Haustür einer Frau begegnete, die sich als Ermittlerin der Sicherheitspolizei vorstellte. Aino Tommila war auf der Treppe zusammengebrochen und hatte ohrenbetäubend laut geweint. Riitta Kuurma musste die beiden lange beruhigen, bevor sie ihr endlich glaubten, dass sie keine neuen schlechten Nachrichten brachte.
Die Tommilas wirkten wie ein liebenswürdiges Ehepaar. Wenn sie einander ansahen, dann strahlten ihre Blicke Wärme aus, genau wie ihre Worte. Es schien so, als wären sie zu einer Person verschmolzen. Riitta Kuurma spürte ein wenig Neid. Wenn sie doch auch mit dem Mann, den sie liebte, alt werden könnte. Sie bemerkte, dass sie ihre Gastgeber ungehörig lange anstarrte, und schaute sich im Wohnzimmer um. Es war ziemlich bescheiden eingerichtet, aber gemütlich. Überall sah man Fotos ihres Sohnes Simo in Rahmen, einer dekorativer als der andere. Es war ihr zuwider, dass sie die verstörten Eltern mit den bei Ermittlungen obligatorischen Routinefragen belästigen musste. Sie hätte doch erst die Eltern von Timo Aalto besuchen sollen. Ihrer Ansicht nach war Aalto der »Hund«, allerdings hatte sie von ihrem Verdacht Ketonen nichts gesagt, und Ratamo erst recht nicht. Himoaalto machte auf sie einen zu beherrschten, berechnenden Eindruck. Sein Gesicht verriet aber, dass er unter einem enormen Druck stand.
Aino Tommila goss mit zitternden Händen dem Gast dampfenden Tee ein, dann ihrem Mann und schließlich sich selbstund bot Gebäck und Kekse an. Riitta Kuurma nahm aus Höflichkeit ein Stück vom Boston-Gebäck, obwohl sie so etwas in der Regel nicht aß. Sie trank Tee dazu und fand, dies sei der passende Augenblick, mit den Fragen zu beginnen. Sie erklärte den Grund für ihren Besuch so entschärft wie möglich. Die SUPO führe Routinebefragungen zu den Mitarbeitern der drei Unternehmen durch, um zu klären, wie die Daten nach außen gelangen konnten. Noch sei niemand angeklagt worden, und Verdächtige gebe es viele.
Die Tommilas erschraken nicht über Riitta Kuurmas Erklärung. Johannes Tommila lachte. »Mit Simo müssten sie reden. Der Junge hat einen Verstand so scharf wie ein Skalpell. Er versteht Dinge, die wir anderen nicht begreifen«, sagte er, so als würde er etwas ganz Selbstverständliches feststellen.
Die Mutter weinte wieder, versuchte es zu unterdrücken und sprach stockend: »Wenn Simo … noch zu Hause wohnen würde … dann hätte man ihn … in so etwas nicht hineingezogen.«
Riitta Kuurma nickte und sagte etwas voller Mitgefühl. Die Tommilas wären nie und nimmer auf den Gedanken gekommen, ihr Sohn könnte ein Verbrechen begangen haben. »Mit Simo haben wir schon gesprochen. Jetzt wollen wir nur die Angehörigen einiger Beteiligter aufsuchen. Wir müssen unsere Informationen ergänzen und sicherstellen, dass nichts unberücksichtigt geblieben ist. Das Gedächtnis ist ein sehr komplizierter Mechanismus. Jeder erinnert sich an etwas anderes, und auch die gleichen Dinge hat jeder ein bisschen anders in Erinnerung.«
Die Tommilas schienen zu verstehen, was sie meinte. Also begann sie mit den Routinefragen zu Simos Kindheit und Jugend.
Es stellte sich heraus, dass Simo, das einzige Kind der Familie, von klein auf sehr sensibel, zurückhaltend und intelligent gewesen war. Mit acht Jahren hatte er seinen ersten Spiele-Computer bekommen und sich danach immer mit Computern
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