Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
nachts an seinem Bettwachte. Schließlich ging sie und war ein wenig beleidigt, dass ihr Sohn allein sein wollte, um seine Nerven zu beruhigen.
Als Tommila die Haustür hörte, stand er vorsichtig auf.
Das Treffen würde in einer Stunde stattfinden.
58
Der Schnee knirschte unter Simo Tommilas Turnschuhen, als er vom Ufer am Kaivopuistonranta auf dem Eis hinüber zur Insel Harakka stapfte, einem Naturschutzgebiet. Es waren kaum hundert Meter, aber er kam nur langsam voran. Beim Laufen schmerzte der Zehenstumpf, obwohl er die dreifache Dosis Tramal genommen hatte. Schnee drang in die Turnschuhe. Doch sie waren seine größten Schuhe und die einzigen, die nicht auf die Wunde drückten.
Er blieb vor dem Ufer der Insel stehen und schaute zurück auf die Lichter der Stadt. Niemand folgte ihm. Er glaubte, dass keiner gesehen hatte, wie er hinten durch das Kellerfenster hinausgeklettert war auf die Ehrensvärdintie. Das Auto der SUPO stand vor dem Haus, auf der Merikatu. Das Treffen musste geheim bleiben.
Die alten, ursprünglich für die Armee errichteten Gebäude ragten wie schwarze Riesen auf den nackten Felsen der Insel in den Himmel. Im größten Haus brannte hier und da Licht. Die Stadt vermietete dort Wohnungen an Künstler. Tommila spürte seinen dampfenden Atem im Gesicht.
Er ging wie vereinbart am Westufer bis zur Südspitze der Insel. Der Lichtkegel der Taschenlampe erleuchtete nur einen kleinen Streifen, blendete ihn aber so, dass er in der ihn umgebenden Dunkelheit nichts sehen konnte. Er stieß gegen eine Krüppelbirke, bisher hatte er angenommen, dass die nur aufden Schären weit draußen im Meer und in Lappland wuchsen. Eine Passagierfähre, die ganz in der Nähe vorbeiglitt, ließ ihr Nebelhorn dröhnen.
Nachdem er die Südspitze umrundet hatte, blieb er an der Stelle stehen, wo eine schmale Wasserstraße Harakka von der winzigen Insel Vanha-Räntty trennte. Der Schnee schmolz in seinen Schuhen, die Socken wurden nass, aber das interessierte ihn genauso wenig wie der eisige Wind. Er sah, wie sich ein zweiter Lichtkegel näherte.
Es dauerte einen Augenblick, bis er das halb unter der Kapuze versteckte Gesicht erkannte. Es war genauso schön wie immer. Stolz erfüllte ihn, als er daran dachte, was für eine Freundin er hatte. Jetzt wurde er für all die einsamen Jahre entschädigt. Er hatte gewartet, bis die Richtige kam.
»Hallo Schatz!« Pauliina Laitakari küsste Tommila auf die Wange.
Er legte den Arm um Pauliinas Nacken und drehte ihren Kopf zärtlich. Er wollte einen richtigen Kuss. Dabei fiel ihm ein, dass für die Herstellung der meisten Lippenstifte Fischgräten verwendet wurden. Am liebsten hätte er sich an Pauliina geschmiegt, um ihren Atem und den Geschmack ihrer Haut zu spüren. Aber sie hatten so viel zu besprechen.
Pauliina löste sich aus seiner Umarmung und stellte voller Anteilnahme Fragen zu den Ereignissen des Vortags. Tommila berichtete stolz, was ihm gelungen war. So hatte er noch nie eine Frau beeindruckt.
»Es ist wunderbar, dass wir endlich zusammen sind«, sagte Pauliina, fasste in ihre Brusttasche und schaltete die Taschenlampe aus. »Schließ die Augen, Schatz, und mach die Lampe aus. Ich habe ein Geschenk für dich.«
Simo Tommila schloss glückselig die Augen. Er spürte, wie Pauliina zärtlich ihre Hand auf seine Schulter legte.
Der Stich kam schnell. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihn, wurde aber sofort unter der kalten Welle des Schocks begraben. Das Blut strömte in Intervallen aus den Schlagadern wie Wasser aus dem Abflussschlauch einer Waschmaschine. Sein Hemd wurde nass. Tommila brach zusammen.
Das Filetiermesser in der Hand des »Hundes« zitterte, als er im fahlen Licht der Taschenlampe zuschaute, wie Simo Tommila auf die Knie sank und irgendetwas Unverständliches röchelte. Der »Hund« mochte den jungen Mann nicht, weinte aber dennoch still vor sich hin. Wenn doch Sterligow Tommila getötet hätte, nachdem der die Zahlungsanweisungen vorgenommen hatte.
Der »Hund« wartete, bis Tommila verstummte. Auf dem starren Gesicht des jungen Mannes lag ein Ausdruck des Entsetzens und der Verwunderung. Die offenen Augen schauten ins Leere. Der »Hund« stieß Schnee auf die Blutspuren und zerrte die Leiche an den Armen in Richtung Ufer. Zwischendurch blieb er stehen und prüfte mit der Taschenlampe, ob die Richtung stimmte. Würde er imstande sein, mit dieser Tat zu leben? Wäre er doch nur ein genauso guter Kodierer gewesen wie Simo. Dann hätte er keinen
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