Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Fentanyl. Soeben hatte er erfahren, dass seine Kugel Sterligow am Oberschenkel getroffen hatte. Nur dieses Geschoss war mit einer Waffe des Kalibers 38 abgefeuert worden. Überraschenderweise hielt sich seine Erleichterung in Grenzen. Erüberlegte immer noch, ob er versucht hatte, Sterligow zu töten oder sich selbst zu schützen. Den Tod des Mannes bedauerte er freilich nicht.
»So. Ich habe Sie noch einmal in die Ratakatu gebeten, weil wir nun wissen, dass der ganze Raub von Nurmijärvi aus verübt wurde. Es besteht für uns kein Grund mehr, Sie des Datendiebstahls zu verdächtigen«, sagte Ketonen höflich. Dass die SUPO vergeblich nach Hinweisen auf eine Zusammenarbeit zwischen Tommila und Aalto oder Laitakari gesucht hatte, erwähnte er nicht. Er wusste selbst nicht genau, warum er die Inferno-Verantwortlichen noch einmal treffen wollte. Vielleicht hoffte er, auf irgendeine der offenen Fragen könnte sich zufällig eine Antwort finden. Ketonen trat vor Aalto hin. »Ihr Alibi für den Zeitpunkt des Mordes an Protaschenko ist bestätigt worden. Das FBI hat vorgestern Ihre Freundin getroffen, sie hat euer Verhältnis zugegeben. Als unser Ermittler angerufen hat, traute sie sich nicht, darüber zu sprechen: Ihr Mann war zu Hause gewesen.«
Ratamo kam sich wie ein Voyeur vor. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Himoaalto hatte auch früher schon Probleme mit dem Alibi gehabt. Anfang der achtziger Jahre gab es in Helsinki nur ein paar Restaurants, in die junge Leute hinein durften, die gerade achtzehn geworden waren. Eines davon war das »Alibi«. Timo hatte sich dort betrunken auf der Toilette geprügelt und ein Lokalverbot für ein Jahr erhalten.
Er hoffte, dass Himoaalto aus dieser blödsinnigen Weibergeschichte vielleicht seine Lehren zog. Ansonsten würde er über kurz oder lang mit heruntergelassener Hose erwischt werden. Probleme bekam Himoaalto aber schon im Büro genug. Schließlich hatte er bei einem Projekt, das zur Katastrophe geworden war, eine führende Rolle gespielt. SH-Secure schien aber mit dem Schrecken davonzukommen. Die Firma trug nurdie Verantwortung für das Funktionieren des Verschlüsselungsverfahrens, und in dem war kein Fehler entdeckt worden. DataNorth und Finn Security könnten keine Forderungen an SH-Secure stellen. Ratamo fuhr mit der Zunge über die neue Zahnfüllung. Sein Kauwerkzeug kam ihm nun wieder vertraut vor, und am nächsten Tag würde er endlich die Fäden loswerden, die in seiner Unterlippe juckten. Ketonen setzte sich hin und erzählte, das FBI habe bestätigt, dass der Entführer Tommilas dieselbe Person war, die den Russen in Miami ermordet und in Zürich versucht hatte, die Chefin der Abteilung für Informationsmanagement der SUPO, Anna-Kaisa Holm, zu vergiften. Er erwähnte nicht, dass auf Protaschenkos Kleidungsstücken Haare Sterligows gefunden worden waren und dass ein Kellner aus dem Züricher Restaurant Sterligow auf Fotos identifiziert hatte.
Pauliina Laitakari zuckte zusammen, als Ketonen sie anschaute. Sie zitterte und sah so aus, als ginge es ihr nicht gut. Ketonen wunderte sich über ihre zerknitterten Sachen und die unordentlichen Haare, bis er trotz der Pastillen, die sie kaute, den Geruch von altem Schnaps bemerkte. Er konnte kein Mitleid für sie empfinden, obwohl der Inferno-Skandal Finn Security am härtesten getroffen hatte. In ihren wässrigen Augen erkannte er den hungrigen Blick eines Menschen, der glaubte, besser zu sein als die anderen. Der Ruf des einzigen gut verkäuflichen Produktes von Finn Security war dahin. Der Kurs der Firmenaktien war abgestürzt, und auf dem Markt gab es Gerüchte, dass die Geschäftstätigkeit eingestellt werden sollte. Die anstehenden Schadensersatzforderungen würde die verschuldete Firma nie verkraften.
DataNorth hingegen befand sich zwar in einer Krise, könnte sie aber überstehen. Die Versicherungen des Großunternehmens deckten einen Teil der Schäden ab, und die Gewinne derletzten Jahre vielleicht den Rest. In dem Unternehmen erwartete man jedoch angespannt, wie groß die endgültige Anzahl der Schadensersatzklagen sein würde. Vieles hing auch davon ab, ob ihre Kunden es wagen würden, die Inferno-Software wieder in Betrieb zu nehmen, wenn ihre Zuverlässigkeit festgestellt wurde. Den Konkurs von DataNorth fürchtete man allerseits wie das Jüngste Gericht: Er wäre ein schwerer Schlag für die gesamte finnische Wirtschaft.
Der Aktienkurs der National Bank war ebenfalls abgestürzt, und der ganze
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