Finnisches Quartett
eingenistet hatte, weggeschmolzen war. Sie bezweifelte, daß sie die restlichen Erinnerungen jemals loswerden würde, denn die schienen sich tief in sie eingefressen zu haben. Lasse hatte sie alles erzählt, nur ihren Befehl an Ezrael, Dexter zu töten, hatte sie verschwiegen. Es verschaffte ihr nur ein wenig Erleichterung, daß sie die Gefühle nun in Worte kleiden konnte. Sie spürte, wie Lasse sie fester an sich drückte, und da fing sie plötzlich an zu weinen. Erst war es nur ein heftiges Atmen, daraus wurde ein lautes, ruckartiges Schluchzen, dann langsam ein durchdringendes Geheul, und schließlich brachen die Ängste als tiefer, dumpfer Schrei aus ihr heraus.
Es dauerte etliche Minuten, bis sich Ulrike beruhigte. Sie stand auf, wischte das Wasser von ihrem Körper und griff nach dem Handtuch. Wenig später holte sie die zwei letzten Büchsen Amstel-Bier aus der Minibar, ließ sich auf das Bett fallen und reichte eine dem nackten Lasse. Es knallte und zischte zweimal, als die Büchsen geöffnet wurden. Ulrikestopfte sich Schmerztabletten in den Mund, obwohl die letzten noch wirkten.
»Auf die Helden, die für unsere Überzeugung gestorben sind: auf Jorge, Gloria und Scott«, sagte Ulrike leise und hob ihre Bierbüchse an. Es schien ihr, als würde sie in Lasses Gesichtsausdruck Angst erkennen, dann tauchten in den Augenwinkeln des Mannes Fältchen auf, und sie erkannte den vertrauten, stolzen und ehrgeizigen Blick.
»Es war richtig, daß du dich entschlossen hast, diesem … Seraphim zu helfen, John Dexter zu entlarven, und daß du der Polizei nicht alles erzählt hast«, sagte Lasse, um ihr Mut zu machen. »Vielleicht ist Dexter tatsächlich für die Morde an Jorge, Gloria und Scott verantwortlich.«
»Wenn ich nichts von Ezraels Plan erzähle und Dexter stirbt, rate mal, wer dann die Verantwortung dafür trägt?« Ulrikes Stimme wurde lauter. »Ich muß entweder der Polizei alles berichten oder mir etwas ausdenken, wie Ezrael helfen kann, Dexter zu entlarven, ohne ihn umzubringen. Alles erscheint so verdammt hoffnungslos.«
Lasse hob den Zeigefinger an die Lippen, sie durften nicht vergessen, daß an der Tür ein Mann des AIVD Wache hielt. »Überleg dir das noch …«
Ulrike sprang auf und schnaufte wütend. »Natürlich überlege ich. Was glaubst du, was ich sonst den ganzen Tag gemacht habe? Das ist möglicherweise meine letzte Gelegenheit, etwas Bedeutendes zu tun. Von jetzt an wird man uns bewachen wie den schwarzen Stein der Kaaba, alle Nachrichtendienste haben unsere Namen.« Ulrike ließ sich auf den Fußboden fallen, und für einen Augenblick sah es aus, als würde sie wieder in Tränen ausbrechen.
Lasse kroch vom Bett herunter und nahm Ulrike in die Arme, als wäre sie ein Kind, das sich im Dunkeln fürchtet. »Wir wollen erst mal sehen, was hier geschieht, vielleicht können wir auch im Rahmen von Final Action noch etwastun. Der Chef muß die Organisation jedoch neu aufbauen: Für Gloria und Scott müssen neue Leute gefunden werden, die Mittel beschaffen.«
Ulrike riß sich aus Lasses Bärenumarmung los. »Das ist wirklich sehr einfühlsam: Wir ersetzen Gloria und Scott wie gestorbene Goldfische … Und der Wiederaufbau von Final Action wird nicht so ganz einfach; wenn die Behörden herausbekommen, wie die Mittel beschafft wurden, muß sich der Chef etwas völlig Neues einfallen lassen.«
»Beruhige dich …« Lasse versuchte Ulrikes Haar zu streicheln, bekam aber eins auf die Finger.
»Begreifst du überhaupt, was für gewaltige Dimensionen die Dinge haben, um die es hier geht? Wenn alles, was Seraphim erzählt hat, stimmt, dann würde die Entlarvung von Dexter einen größeren politischen Skandal auslösen als Watergate. Und da die Journalisten, die Watergate aufgedeckt haben, weltberühmt geworden sind, dann stell dir mal vor, was mit uns geschehen würde.« Plötzlich brach Ulrike wieder in Tränen aus. Ihr Schluchzen klang nun gedämpfter, wie ein trauriger Monolog.
»Auch dir habe ich das Schlimmste noch nicht erzählt. Ich habe Ezrael befohlen, Dexter umzubringen. Stell dir mal vor! Ich habe diesem Verrückten den Befehl zum Töten gegeben«, stammelte Ulrike. Das Geständnis fand von allein einen Weg aus ihrem Inneren.
Lasse lächelte unsicher. »Du akzeptierst das Töten doch unter keinen Umständen. Du sagst doch immer, daß nichts so heilig ist wie das menschliche Leben.«
»Ja, und das allerheiligste Leben ist das eigene. Ich konnte aus diesem Kellerloch nur fliehen, indem
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