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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Bewegungen von Eamon O’Donnell auch ohne Hilfe zu verfolgen. Ich versuche die Dinge zu regeln und werde deine Freundin bald anrufen.« Seraphim beendete das Gespräch in seinem Arbeitszimmer im Pentagon. In dem Büroriesen mit dreihundertdreißigtausend Quadratmetern arbeiteten dreiundzwanzigtausend Menschen, und von dem Gebäude aus wurden pro Tag über zweihunderttausend Telefongespräche geführt, aber selten so wichtige wie dieses.
    Der Ermittler des AIVD heftete sich Lasse auf die Fersen, als der die Toilette verließ. Lasse vergewisserte sich, daß die Nummer des Anrufers nicht im Telefon gespeichert war, und überlegte einmal mehr, wer Seraphim wohl sein mochte. Der Mann hatte das erste Mal kurz nach der Gründung von Final Action Kontakt zu ihm aufgenommen und seine Hilfe angeboten; er wußte anscheinend alles. Lasse vermutete, daß der kleine dunkelhaarige Mann, der im Beratungsraum von Dutch Oil gesessen hatte, irgendwie mit Seraphim zusammenhing, begriff aber immer noch nicht, wie.
    Es machte ihn wütend, daß er nie den Ruhm für den entscheidenden Anschlag auf das Kernkraftwerk Calvert Cliffsernten würde. Wenn er weltberühmt werden würde, wer weiß, ob man dann nicht alle Ökoterroristen als Nordmänner bezeichnen würde. Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hatte man die Dragoner zu Fuß, die Bauern, »Kivekaner« genannt, nach ihrem berühmtesten Anführer. Doch vielleicht verdiente er eine solche Ehre nicht einmal. Lasse wußte selbst, daß er die Soldatentraditionen in seiner Familie verraten und seinen Offizierseid gebrochen hatte, spätestens als er den Plan für den Anschlag auf das Kernkraftwerk Calvert Cliffs akzeptiert hatte. Aber in der Welt von heute mußte man bei seinen Grundsätzen flexibel sein, wenn man etwas Großes erreichen wollte.

40
    Ratamo ging im Raum der operativen Zentrale ans Fenster, öffnete die Gardine einen Spalt, schaute auf die Landschaft in der Abenddämmerung, um seine müden Augen zu beruhigen, und dachte über die E-Mail nach, die er vorhin vom Hotel an die französische Botschaft in Helsinki geschickt hatte. Darin erkundigte er sich nach den Namen der Finnen, die im Jahr vor seiner Geburt in der Botschaft gearbeitet hatten. Plötzlich bemerkte er, daß vor dem Gebäude des AIVD die Flaggen auf halbmast wehten. »Warum hängen die Fahnen auf halbmast?«
    »Der vierte Mai ist der Herdenkingsdag – der Gedenktag für die Gefallenen. Um acht Uhr hat die Königin auf dem Dam-Platz in Amsterdam einen Kranz niedergelegt, und das ganze Land hat mit zwei Schweigeminuten die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs geehrt«, erklärte die Ermittlerin Katje de Groot wie eine Touristenführerin.
    »Alle außer uns«, entgegnete Timmerman mit säuerlicher Miene.
    »Morgen, der fünfte Mai, ist der Bevrijdingsdag, der …«, de Groot suchte einen Augenblick nach der richtigen Übersetzung, »… der Tag der Befreiung, auch der hat seinen Ursprung im letzten Krieg. Dann feiert man bei uns das Ende der fünfjährigen deutschen Besetzung. Am vierten Mai wird getrauert und am fünften gefeiert.«
    Der Psychologe Kris Bruijn kam hereinmarschiert, setzte sich hin, wischte sich mit der Hand über die Glatze und kam sofort zur Sache. »Ich habe das Tagebuch von Eamon O’Donnell nun äußerst sorgfältig studiert. Auch meine Gespräche mit Ulrike Berger beleuchten noch zusätzlich die Persönlichkeit von O’Donnell.« Doktor Bruijn machte eine kurze Pause. Die müden Gesichter der Ermittler verrieten gespanntes Interesse, und man konnte das Adrenalin fast riechen.
    »O’Donnell ist psychisch schwer krank, das ist offensichtlich, aber ohne langanhaltende Therapie ist es unmöglich, mit Sicherheit eine richtige Diagnose zu stellen. Es scheint jedoch so zu sein, daß O’Donnell möglicherweise neben der Psychopathie auch an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung, an DID, leidet«, erklärte Bruijn, so als würde er über das Wetter von morgen sprechen.
    »Niemand in dieser Truppe versteht die Liturgie der Mediziner«, sagte Timmerman giftiger als beabsichtigt. Die Anspannung der Ermittlungen machte sich auch bei ihm bemerkbar, so wie bei allen anderen. Sein Finger kreiste um die Fliege.
    Bruijn tat so, als hätte er die Unterbrechung nicht gehört. »Bei der DID-Erkrankung teilt sich die Persönlichkeit des Menschen in zwei oder mehrere verschiedene Persönlichkeiten, von denen stets eine zeitweilig die dominierende ist. Es kann sein, daß diese unterschiedlichen Persönlichkeiten

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