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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Genauigkeit.
    War Ezrael etwas zugestoßen, überlegte Mary und stellte verwundert fest, daß sie nicht einmal mehr, wenn sie an ihren Bruder dachte, seinen richtigen Namen verwendete. Und das war gut so, denn wenn ihr in Ezraels Anwesenheit sein richtiger Name herausrutschte, würde das den Bruder an die Vergangenheit erinnern, und das durfte nicht geschehen. Ezrael war ihre Schöpfung. Allerdings – das mußte sie der Wahrheit halber zugeben – hatte auch der Vater (oder Soldat, wie Ezrael ihn in seiner kranken Welt nannte) einen großen Anteil daran gehabt, daß der Engel des Zorns geboren wurde.
    Mary bog in den Molsteeg ein, überquerte die Souistraat und erreichte das Ende des kurzen Torensteegs am Ufer des Singel-Kanals. Wenn sie an den Vater dachte, spürte sie immer noch Angst und Bedrängnis; der Mann hatte ihr Entsetzliches angetan. Es machte sie wütend, daß dieses Schwein nie für seine Taten zur Verantwortung gezogen wurde, weil er als Führungsfigur der Republikaner von Belfast zu Lebzeiten unantastbar gewesen war, und jetzt vermoderten seine Knochen in der nordirischen Erde. Der Vater war einer derjenigen gewesen, die im Jahre 1969 die Teilung der IRA geplant und den provisorischen Flügel der IRA gegründet hatten. Zum Teil war es ihm zu danken, daß der provisorische Flügel der IRA Anfang der siebziger Jahre zu den Waffen gegriffen und sich zu einer rein militärischenOrganisation entwickelt hatte, deren Ziele nicht von komplizierten Theorien beeinträchtigt wurden. Aus der provisorischen IRA wurde schon bald der Flügel der IRA, der die Macht besaß. Der Vater kämpfte seinerzeit in der Belfaster Brigade und war später in der Sicherheitsabteilung der Kommandozentrale Nord für die Verhöre zuständig, das heißt, er folterte. Und diese Arbeit beherrschte der Mann, er hatte sie jahrelang mit seiner Familie trainiert.
    Der Vater hatte wahrhaftig gewußt, was er aus seinen Kindern machen wollte: Als die Jugendorganisation der IRA, die »Na Fianna Éireann«, Ende der siebziger Jahre in eine illegale Organisation für die militärische Ausbildung umgewandelt wurde, gehörten der achtjährige Ezrael und die zehnjährige Mary natürlich zu den ersten Schülern, die man aufnahm. Begleitet von den Slogans »Briten raus« und »Löst die Polizei von Ulster auf«, wuchsen sie auf. Als sie alt genug waren, wechselten sie von der »Na Fianna Éireann« in die Zellen der IRA als Soldaten.
    In der Herengracht wurde Mary von einem Zeitung lesenden Geschäftsmann mittleren Alters angerempelt, doch statt sich zu entschuldigen, starrte er sie nur wütend an. Marys schmale Adlernase bebte vor Ekel, sie hatte große Lust, den Mann auf der Stelle zu kastrieren. Doch dann beruhigte sie sich, als sie daran dachte, daß auch dieser Loser höchstwahrscheinlich bis über die Ohren verschuldet war, in seinem muffigen Kontor von früh bis spät arbeitete und sich nur dadurch Befriedigung verschaffte, daß er sich jenen gegenüber aufspielte, denen es noch schlechter ging als ihm. Mary zündete sich eine Zigarette an.
    Sie versuchte ihre Wut zu unterdrücken, aber die Flammen des Zorns schlugen noch höher, als sie wieder an den Vater dachte, an Ezrael und jenen Tag, an dem der Vater den Finger seines Sohnes mit einem Ziegelstein zerschmetterte, zur Strafe für einen Diebstahl. Der Vater ließ Ezraelnicht ins Krankenhaus bringen, weil er fürchtete, seine Tat würde herauskommen, und so entwickelte sich in dem Finger eine Nekrose, und er mußte amputiert werden.
    Der Vorfall mit dem Finger verwirrte Ezrael endgültig, und ein Loyalistenmädchen, das in der Shankill Road wohnte, mußte dafür mit ihrem Leben bezahlen. Danach sperrte der Vater Ezrael zu Hause ein, denn sonst hätte sich der Sohn binnen kurzem verraten und wäre bei einem Racheakt der Loyalisten gestorben oder für den Rest seiner Tage in einer Anstalt gelandet. Völlig isoliert, wandte sich der streng katholisch erzogene junge Mann unweigerlich dem Glauben zu. Schritt für Schritt errichtete Ezrael eine komplizierte Phantasiewelt, nannte sich selbst »Engel des Zorns« und wartete jahrelang auf einen göttlichen Auftrag, den ihm ein mystischer Bote übermitteln würde. Mary hatte das alles im Tagebuch ihres Bruders gelesen, das er »Ezraels Evangelium« getauft hatte.
    Während sie die Herenstraat entlanglief, spielte ein leichtes Lächeln um Marys Lippen. Sie empfand immer noch Stolz, daß es ihr gelungen war, den Bruder für ihre Zwecke einzuspannen: Sie

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