Finnisches Quartett
»Hat irgendein anderer Finne Verbindungen zu Final Action?«
»Kaum. Die Organisation ist neu …«, begann Loponen.
»Mensch, du sollst hier keine Vermutungen anstellen«, fuhr Ketonen ihn an. »Sucht alle Dateien durch, und befragt die Aktivisten, die auf der Überwachungsliste stehen.«
Es begann eine Diskussion über Final Action, bei der es hin und her ging, bis Ulla Palosuo das Gespräch schließlich entschlossen unterbrach. »Vom Standpunkt der Ermittlungen aus betrachtet, ist das hier die eigenartigste Nachricht: Der AIVD hat erfahren, daß dieser tote Aktivist …«, Ulla Palosuo schaute schnell in ihren Unterlagen nach dem Namen, »… dieser Jorge Oliveira, in Meijendel eine SMS abgeschickt hat. Die konnte erst heute morgen übersetzt werden, weil Oliveira sie aus irgendeinem Grund in mirandesischer Sprache geschrieben hat.«
»In welcher Sprache?« fragte Ratamo interessiert.
Ulla Palosuo suchte auf ihrem Tisch einen neuen Zettel. »Mirandesisch wird in der Hochebene von Mirandes, im Gebiet von Miranda do Douro, gesprochen. Das ist eine dünn besiedelte Gegend im Nordosten von Portugal.« Dann nahm sie die Nachricht von Oliveira und las sie feierlich vor:
»Man hat mich erwischt. Die Verfolger sind keine Polizisten. Helft. Konsortium der Ölkonzerne, geleitet von van der Waal, Assistentin Mary Cash, Physiker werden umgebracht – der Finne Elvas stirbt heute. Engel des Zorns …«
Ulla Palosuo starrte ihre Kollegen mit ernster Miene an. Als sie dann noch berichtete, daß der AIVD auch die SIM-Karte des Mobiltelefons erhalten hatte, die bewies, daß Oliveiras SMS echt war, waren die anderen so verblüfft, daß im Raum A 310 Schweigen herrschte.
Unterbrochen wurde es von Ulla Palosuo. »Wenn die SMS also vor dem Tod von Elvas abgeschickt wurde, dann ist gestern im Hotel Lord ein Mord geschehen.« Damit sprach sie die Schlußfolgerung aus, die alle gezogen hatten.
Die Falten auf Ketonens Stirn wurden noch tiefer. »Die Nachricht deutet auch darauf hin, daß die drei anderen Physiker ebenfalls ermordet wurden … in Rom, Paris und Berlin.«
»Was zum Teufel ist das für ein Konsortium? Warum will irgend jemand Physiker ermorden?« wunderte sich Loponen laut.
»Das ist ja nun das einzig Logische in diesem ganzen Durcheinander. Wenn es gelingt, die Fertigstellung eines Fusionsreaktors um ein Jahr oder mehr zu verzögern, bringt jedes dieser Jahre den Ölkonzernen etliche Milliarden Dollar. Sobald jedoch kostenlose Energie zur Verfügung steht, werden ihre Gewinne schnell abstürzen. Also: Je später, um so besser.« Mit dieser Antwort verblüffte Ketonen seine Kollegen.
»In Finnland wird ja wohl kein Fusionsreaktor gebaut?« Mit der Frage verriet Loponen seine Unkenntnis.
»Finnland nimmt seit 1995 aktiv am europäischen Fusionsforschungsprogramm teil«, las Ketonen aus seinen Unterlagen vor. »Unser gegenwärtiges Teilprogramm wird FUSION genannt, und Hannu Elvas war für die Forschung im Zusammenhang mit der Fusionsplasmatechnik verantwortlich. Europa ist ein Vorreiter auf dem Gebiet der Fusionsforschung, die Forschungsprojekte JET und ITER …«
»Seit wann bist du ein Kernphysiker?« warf Ratamo ein.
Ketonen schien die Nase voll zu haben und schnauzte Loponen an: »Und was sagt Lasse Nordman zu alldem?«
»Auf den Bericht vom Verhör warten wir immer noch. Am Telefon hat der holländische Ermittler nur erzählt, daß Nordman überhaupt nichts sagt. Aber es ist sicher, daß man ihm hart zusetzen wird, der AIVD nimmt alle Aktivisten außerordentlich ernst, seit der Aktivist Volkert van der Graaf im Frühjahr 2002 den Rechtspopulisten Pim Fortuyn ermordet hat.«
Ulla Palosuo wandte sich Ratamo zu. »Der Anschlag von Den Haag und der Tod von Elvas sind nun ein und dieselbe Ermittlung.«
»Und was ist mit den anderen Namen in der Nachricht von Oliveira: Mary Cash, van der Waal, der Engel des Zorns. Weiß man über sie etwas?« fragte Ratamo.
»Jaap van der Waal ist der Vorstandsvorsitzende von Dutch Oil. Engel des Zorns ist irgendein Codename und Cash vielleicht auch. Das bedeutet ja in englisch Bargeld«, erklärte Loponen, als wäre er ein großes Sprachgenie.
»Loponen, Menschenskinder. Cash bedeutet Bargeld … Die Ölbosse werden ja wohl untereinander nicht irgendeine Geheimsprache benutzen«, entgegnete Ketonen genervt.
Der Deckel der Kautabakdose klappte auf, und im Zimmer breitete sich ein süßlicher Geruch aus, als sich Ratamoin aller Ruhe einen Priem unter die Lippe steckte. Sein
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