Finnisches Quartett
Spiegelbild im Wasser und rieb den Dreck auf der Wange weg. Die kleine halbmondförmige Narbe wurde davon ganz rot.Dann fuhr sie sich mit dem Fünfzinkigen durch die verfilzten blonden Locken, strich Hemd und Hose glatt und suchte wieder ihr Spiegelbild im Wasser, doch das wurde nun von der Strömung zerstört. Irgendwo war das Schnattern von Enten zu hören. Sie sah nun ordentlich genug aus und hatte zweitausend Euro in der Tasche, alles ließe sich in Ordnung bringen. Erst auf die Toilette, dann etwas essen, und anschließend ins World Trade Center, nahm sie sich vor. Sie vermutete, daß Gloria und Scott wegen der Ereignisse in Den Haag gezwungenermaßen im Büro von Future.com saßen.
Ulrike ging wieder zu der Brücke hinauf und wählte den Parkweg, der nach Norden führte. Dabei versuchte sie sich aufzumuntern, indem sie sich einredete, Final Action werde durch diese Schwierigkeiten nicht scheitern. Das durfte nicht geschehen, sie brauchte die Organisation, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Ein ehrgeizigeres Ziel als die Schaffung der neuen Weltwirtschaft gab es nicht. Final Action würde Hunderten Millionen, ja sogar Milliarden Menschen helfen. Wenn die Großunternehmen gezwungen würden, die Ausbeutung der Entwicklungsländer zu beenden, bekämen die armen Staaten Einnahmen für ihre Naturreichtümer, und die industrielle Entwicklung würde den Menschen die Freiheit geben, eine produktive Arbeit und eine Ausbildung zu erhalten. Die Demokratie würde den Sieg davontragen.
Die Sorge um die Zukunft bedrückte Ulrike dennoch. Wenn Jorge bei der Polizei redete, könnte sie nie wieder an Aktionen von Final Action teilnehmen. Die Behörden würden sie überwachen, egal, wohin sie ging. Was sollte sie dann tun? Ihr Studium der internationalen Politik würde sie ganz sicher nicht fortsetzen, sowohl die Diplomatie als auch die Parteipolitik waren ihr zuwider. Sie wollte kein Teil der Machtstrukturen sein, die all diese Ungerechtigkeit immer zugelassen hatten und auch künftig zulassen würden. Nein,sie wollte die Welt verändern. Würde irgendeine Hilfs-, Umwelt- oder Menschenrechtsorganisation, die sich an die Gesetze hielt, eine Frau einstellen, die vorbestraft war?
»Stopp!« Der Ruf riß Ulrike zurück in die Gegenwart. Eine junge Frau mit Rastalocken zeigte auf das rote Licht der Ampel und lächelte.
Ulrikes Gedanken wurden noch düsterer, als ihr einfiel, daß die Polizei sie möglicherweise schon am World Trade Center erwartete, falls Jorge geredet hatte.
Ezrael saß auf einer Parkbank am Rande der Rasenfläche neben dem Amsterdamer WTC-Gebäudekomplex und fütterte Vögel wie einst der heilige Franziskus von Assisi. Eine Gruppe von Jungen spielte auf dem Rasen Fußball, ihr begeistertes Geschrei erschreckte die Vögel. Plötzlich sprang die Lederkugel Ezrael vor die Füße, er lächelte und stand auf, um den Ball zu einem blondgelockten Dreikäsehoch zurückzuschießen. Im gleichen Augenblick tauchte die Faust des Soldaten vor seinem Auge auf, öffnete sich, und da lagen sechsundsechzigeinhalb Penny. Das Bild dieser Erscheinung war eines der schlimmsten. Dunkle Farben tauchten auf. »Unter den Sündern muß man sich wie die Sünder verhalten …«, wiederholte Ezrael. Er durfte sich nicht entspannen, die Bestie lauerte schon und wartete begierig auf Rache. Er beschloß, sie zu besänftigen.
Ezrael holte aus der Brusttasche seines modischen hellen Sommermantels zwei Fotos und betrachtete sie abwechselnd. Gloria Davegna und Scott Anderson, er wiederholte die Namen der Verräter. Er hatte erst bei beiden zu Hause angerufen und dann im Büro von Future.com, mit Erfolg. Jetzt beobachtete Ezrael den Gebäudekomplex des WTC: Zusätzlich zu dem flachen Gebäude mit dem Glasdach sah er vier gläserne Turmhäuser. Hinein konnte er nicht gehen, denn dann hätten ihn die Überwachungskameras aufgezeichnet,also mußte er warten, bis die Verräter das Gebäude verließen. Der Augenblick der Rache rückte näher, und die Bestie war wach, bald würde er dafür sorgen, daß die Welt verstummte.
»Gott ist ein rechter Richter und ein Gott, der täglich droht.«
Seine Aufmerksamkeit wurde von einem kleinen Mädchen gefangengenommen, das an der Hand seiner Mutter hing und vor Freude kreischte. Lächelnd betrachtete er das Kind, das an ihm vorüberging und voller fröhlicher Neugier seinen Blick erwiderte. Ezrael spürte, wie sofort eine Verbindung zwischen den beiden aufrichtigen Seelen entstand. Das Mädchen rannte seiner
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