Finnisches Quartett
schmeichlerischen Art dieses Schweins, fühlte sich selbst Teflon rauh an. Mary hatte diesen Augenblick erwartet: Das größte Risiko ihres eigenen Plans bestand von Anfang an darin, wie sie überleben sollte, nachdem alle Physiker ermordet waren. Die ganze Zeit hatte sie den Verdacht gehabt, daß van der Waal die Zeugen seiner Verbrechen eliminieren würde. Aber sie gab nicht auf, der Krieg war erst zu Ende, wenn Fergus gerächt war und auch der allerletzte britische Soldat irischen Boden verlassen hatte. Ihr eigener Krieg würde vermutlich auch dann nicht enden.
Die Lage war kritisch. Mary fürchtete, ihr Bruder könnte zusammenbrechen, wenn sie ihm sagte, daß der Auftrag abgeschlossenwar. Doch das durfte nicht geschehen, denn sie brauchte Ezraels Hilfe. Mary blieb auf dem Dam-Platz stehen, sah die Nieuwe Kerk und das Königsschloß und begriff ihre Dummheit: Warum ging sie freiwillig hierher, wo sie wie auf dem Präsentierteller stand. Sie nahm Kurs auf das dichte Menschengewimmel in der Einkaufsstraße Kalverstraat und verbrannte sich die Finger, als sie an der Zigarette zog; die Glut leuchtete schon im Filter.
Wäre Ezrael imstande, mit dem Töten aufzuhören? Gleich würde sich herausstellen, bis zu welchem Grade ihr Bruder verrückt war. Ezrael unterschied sich nicht sehr von den anderen Männern, glaubte Mary. Aggressivität fand sich in jedem Mann, und die »gesunden« Männer unterschieden sich nur insofern von Ezrael, als sie ihre Aggressivität kontrollieren konnten. Sobald sich eine Möglichkeit und Gelegenheit bot, war jeder Mann zu jeder beliebigen Form von Gewalt fähig, denn Ezraels Bestie wohnte in ihnen allen.
Die Schlagzeile von De Telegraaf zum Anschlag vor dem World Trade Center fiel Mary ins Auge, als sie darauf wartete, daß ihr Bruder ans Telefon ging. »Ezrael, ist bei dir alles in Ordnung? Ist gestern alles so verlaufen wie vorgesehen?«
Ezrael hörte sich müde an. »Alles ist planmäßig gelaufen, und ich habe auch diese Aktivistin gefunden. Sie ist der Engel der Offenbarung. Man hat mir eine neue Offenbarung geschickt.« Ezrael schöpfte neue Kraft aus seinen Worten.
Was zum Teufel redete Ezrael da für ein wirres Zeug, dachte Mary. »Meinst du Ulrike Berger?«
»Ja.«
»Und was hat dieser … Engel gesagt? Welche Offenbarung hat er dir gebracht?« fragte Mary nach. In dem Moment versetzte ihr ein Mann mit einem riesigen Käselaib einen Stoß, so daß ihr um ein Haar das Telefon heruntergefallenwäre. Wut flammte in ihr auf, sie hatte Lust zuzuschlagen, zwang sich dann aber, wieder an das Wichtigste zu denken.
»Ich weiß es noch nicht, anscheinend hat er seinen Auftrag vergessen.« Ezrael setzte sich in seinem Schlafzimmer auf seinen Mantel, der auf den Dielen lag, und hörte, wie im Kirchensaal die Ketten klirrten. Der Engel der Offenbarung war aufgewacht.
Das war nicht das erste Mal, daß Ezraels Welt außer Kontrolle geriet. In der Regel ließ Mary den Bruder die Netze seiner Phantasie so auswerfen, wie er wollte, die Hauptsache war, daß er ihr gehorchte und seine Phantasien ihre Pläne nicht gefährdeten. »Ezrael. Diese Frau ist Ulrike Berger, der Verräter, an dem du Rache üben sollst. Jetzt sofort. Sie ist kein Engel der Offenbarung, überhaupt kein Engel, sondern ein Verräter. Verstehst du?«
Man hörte nur, wie Ezrael schwer atmete, und Mary hatte das Gefühl, daß irgend etwas Besonderes geschehen war. Ulrike Berger mußte sterben, jetzt konnte die Frau außerdem auch noch Ezrael identifizieren.
»Hör zu, Ezrael. Wir müssen die Ausführung des Plans vorläufig unterbrechen, sobald du an Ulrike Berger Rache geübt hast. Verstehst du?« Mary bog am Ende der Kalverstraat rechts ab in den St.-Lucien-Steeg, wo die Häuser immer älter wurden und die Gassen immer enger. In diese schmalen Gassen konnte der erfrischende Wind nicht vordringen, und schnell erschienen auf Marys Stirn dicke Schweißperlen.
Wieder herrschte für einen Augenblick Schweigen, dann klang Ezraels Stimme anders als vorher, sicherer: »Den Auftrag kann man nicht abbrechen. Eines Tages werde auch ich so wie Johannes verkünden: ›
Ich habe dich verklärt auf Erden und vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte.
‹«
Mary verlor die Selbstbeherrschung. »Die Ausführung des Auftrags wird für eine Weile unterbrochen! Wir ändern den Zeitplan! Das ist mir mitgeteilt worden, und ich überbringe dir hiermit diese Botschaft!« rief sie so laut, daß sich Passanten in der
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